Dezember 2024
DAMIT SICH GESCHICHTE NICHT WIEDERHOLT
80 Jahre nach der Ermordung des Hattinger NS-Widerstandskämpfers
Nikolaus Groß
„Tod durch Erhängen“, lautete das Urteil des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs gegen Nikolaus Groß. Am 23. Januar 1945 wurde es vollstreckt: Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa richteten Vertreter des Hitlerregimes in Berlin-Plötzensee den 46-Jährigen aus Hattingen hin. Er hatte sich unter anderem als führende Kraft der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB) deutschlandweit einen Namen gemacht. Groß hinterließ seine Frau Elisabeth und sieben Kinder. Welche Bedeutung die Geschichte des Mannes, den die Katholische Kirche seit 2001 offiziell als „Seligen“ verehrt, heute noch hat, zeigt ein Blick auf sein Leben – auch aus der persönlichen Perspektive einer seiner Enkelsöhne.
Thomas Groß (65) hält den Docht eines kleinen Opferlichts an die Flamme einer auffälligen Kerze im Essener Dom: Sie trägt das Bild seines Großvaters und brennt in der „Nikolaus-Groß-Kapelle“ in einem Seitenschiff des Gotteshauses. Das Feuer springt sofort über. Thomas Groß stellt die kleine Kerze vorsichtig neben die große. „Der Glaube hat meinen Großvater maßgeblich getragen. Auch in den Wirren des Krieges“, weiß er. „Er hat damals große Charakterstärke gezeigt, indem er gegenüber dem Nationalsozialismus nicht nachgelassen hat. Das zeigt sich zum Beispiel in seinen vielen Schriften, die millionenfach verbreitet wurden. Darin hat er seinem Glauben entsprechend politische Zeichen gesetzt.“
Nikolaus Groß kam 1898 in Hattingen-Niederwenigern zur Welt. Später arbeitete er als Bergmann – und wurde dann Journalist. Bei der „Westdeutschen Arbeiterzeitung“, dem Verbandsorgan der KAB, war er schließlich sogar als Chefredakteur im Einsatz. Das Blatt fuhr einen kritischen Kurs gegenüber dem Nationalsozialismus, nannte dessen Anhänger unter anderem „Größenwahnsinnige“, „Volksbetrüger“, „Hohlköpfe“ und „Gewalttäter.“ 1938 verboten die Nazis die Zeitung.
Angenommen, Hitler kann beseitigt werden: Wie kann es dann weitergehen? Mit solchen Überlegungen befasste sich Nikolaus Groß weiterhin. 1944, am 20. Juli, wagte eine Gruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg einen Umsturzversuch. Das Attentat auf Hitler schlug fehl. Noch am Tag davor hatte Nikolaus Groß gegenüber einem KAB-Vorsitzenden geäußert: „Wenn wir heute nicht unser Leben einsetzen, wie sollen wir dann vor Gott und unserem Volk einmal bestehen?“ Gut drei Wochen später wurde Groß im Zusammenhang mit dem Attentat verhaftet, obwohl er nicht daran beteiligt war. „Er schwamm mit im Verrat, muss folglich auch darin ertrinken“, hieß es später in der Urteilsbegründung.
Elisabeth Groß blieb als Witwe mit sieben Kindern zurück. „Den Abschiedsbrief, den mein Großvater seiner Familie geschrieben hat, müssen Sie lesen“, empfiehlt Thomas Groß. In der Kapelle im Essener Dom ist eine Kopie ausgestellt. Thomas Groß hat seinen Opa nicht persönlich kennenlernen können. Er ist der Sohn des 2019 verstorbenen Bernhard Groß, des sechsten Kindes von Nikolaus und Elisabeth. Bernhard verlor seinen Vater durch die Vernichtungswut der Nazis, als er zehn Jahre alt war. Das Andenken an ihren Vater hielten Bernhard und seine sechs Geschwister wach, auch später bei ihren eigenen Kindern. Inzwischen ist die Groß-Familie riesig. Sie halten miteinander guten Kontakt, zum Beispiel über eine WhatsApp-Gruppe. Viele Mitglieder werden am Todestag von Nikolaus Groß nach Berlin zu einer Gedenkveranstaltung reisen.
Die Erinnerung an Elisabeth Groß ist anders möglich. Sie starb 1972 mit 70 Jahren. „Wir Enkel waren gerne bei ihr. Das war eine tolle Frau. Sie hat viel mitgemacht. Während Witwen der Nazi-Verbrecher stattliche Pensionen bekommen haben, sind die meisten Witwen von Wider-standskämpfern leer ausgegangen, wie unsere Großmutter. Sie musste alleine sieben Kinder durchbringen. Das hat sie mit Bravour geschafft“, erzählt der Enkel.
Dass Nikolaus Groß nicht in Vergessenheit gerät, dafür setzen sich seine Nachfahren weiter ein. „Wenn sein Lebenswerk Sinn und Zweck in der heutigen Zeit haben soll, dann müssen wir wachsam sein im Hinblick auf aktuelle politische Tendenzen. Wo es in Richtung Entrechtung geht, wenn man Fremdenfeindlichkeit oder Ausgrenzung von Schwachen und Minderheiten spürt, dann sind alle Generationen gefragt, dagegen einzutreten“, mahnt Thomas Groß. „Wir wissen, was die Zeit zwischen 1933 und 1945 gebracht hat: Not und Tod. Ich hoffe, dass es in Deutschland genügend standhafte Menschen gibt. Damit sich Geschichte nicht wiederholt.“
Text Sandra Gerke
Nikolaus Groß heute
Lernen Sie Nikolaus Groß und seine Botschaft kennen. Das ist dank vieler engagierter Menschen im Ruhrbistum auf verschiedenen Wegen möglich, zum Beispiel so:
Das Musical: Am 24. und 25. Januar jeweils um 19 Uhr zeigt die Gemeinde St. Barbara in Mülheim- Dümpten das Musiktheaterstück über den Widerstandskämpfer in ihrer Kirche – zum letzten Mal. Die künstlerische Teamarbeit hat seit der Uraufführung 1998 schon mit gut 80 Aufführungen für Begeisterung gesorgt. Tickets ab zehn Euro sind bestellbar unter Telefon 0151 42105433 oder via E-Mail unter elketimmer1@aol.com. Infos: www.nikolaus-gross-musical.de
Das Museum: Das Nikolaus-Groß-Haus am Domplatz 2a in Hattingen dokumentiert in Hun- derten von Bildern, Schriften und Gegenständen das Leben des im Stadtteil Niederwenigern geborenen Arbeiterführers. An jedem dritten Sonntag im Monat ist von 10.30 bis 12.00 Uhr unangemeldet eine Besichtigung möglich. Individuelle Termine lassen sich per Telefon (0177 6546547) oder Mail (info@nikolaus-gross.org) vereinbaren.
Der Podcast: „Nikolaus Groß – Unerschütterlich“ ist der Titel eines 17-teiligen Doku-Hörspiels, das auf allen gängigen Musik-Streaming-Plattformen zu finden ist. Und im Internet unter unerschuetterlich.bistum-essen.de
Der Kurzfilm: „Der Abschiedsbrief von Nikolaus Groß“ heißt ein bewegendes zwölfminütiges Werk des Kölner Medienmachers Robert Groß, des Sohns von Nikolaus Groß’ fünftem Kind Alexander. Zu sehen unter bene.mg/abschiedsbrief
Die Kapelle im Essener Dom: Seit 2004 befindet sich eine künstlerisch gestaltete Gedenk- und Gebetsstätte im südlichen Seitenschiff der Bischofskirche am Burgplatz, die an das Leben und Sterben des Märtyrers erinnert.