Betrifft

Frühen Missbrauch bis ins Alter verdrängt

Psychologe Eckhard Hömberg musste in seiner Kindheit sexualisierte Gewalt erfahren. Foto: Nicole Cronauge

„EIN WICHTIGES SIGNAL FÜR UNS“

Von sexualisierter Gewalt Betroffene wollen Beirat im Bistum Essen bilden

„Das hätte viel eher geschehen müssen. Dafür kann ich nur um Entschuldigung bitten.“ Zwei von vielen Sätzen des Bischofs von Essen, die es in sich hatten. Mit ihnen trat Franz-Josef Overbeck im Juli einem Kreis von Menschen gegenüber, die in der Vergangenheit sexuellen Missbrauch durch Geistliche erfahren mussten. Das Bistum Essen hatte die Betroffenen nun eingeladen, um über die geplante Bildung eines Beirates aus ihren Reihen zu informieren. Einer der Erschienenen war Eckhard Hömberg. Was ihm im Alter von etwa elf Jahren widerfahren ist, beschäftigt den heute 69-Jährigen nach wie vor – persönlich und fachlich.

Über 40 Frauen und Männer waren der Einladung von Bischof Overbeck in die Katholische Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim an der Ruhr gefolgt. Es sei für ihn „keine Selbstverständlichkeit“, dass so viele Betroffene gekommen seien, bedankte sich Overbeck. „Es ist sicher sehr schwer, einer Institution Vertrauen zu schenken, die Ihr Vertrauen einst schändlich missbraucht hat und deren Vertreter schreckliche Verbrechen begangen haben.“

Die Einrichtung eines Betroffenenbeirates ist Teil der Vereinbarungen zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Das Ziel: den Betroffenen eine Stimme und die Möglichkeit zu geben, ihre Belange, Anliegen und Interessen in die laufenden Aufarbeitungsprozesse einzubringen.

Für Eckhard Hömberg war die Sache klar: Die Idee, die in Mülheim vorgestellt wurde, wollte er sich als Betroffener auf jeden Fall anhören. Was er dann in der Wolfsburg erlebte, überraschte ihn dann doch in verschiedenen Punkten: „Das ging schon damit los, dass der Erste, der mich persönlich begrüßte als ich ankam, der Bischof war. Das hat mich beeindruckt. Er stand uns als Mensch gegenüber, nicht als Würdenträger“, beschreibt Hömberg, der aus Essen-Werden stammt.

Die Erfahrung, dass das Bistum Essen die Verbrechen ernst nimmt, die Mitglieder aus den eigenen Reihen begangen haben, hatte Hömberg schon 2010 gemacht: Damals war die Aufarbeitung angestoßen worden – und er war einer der ersten im Bistum Essen, der seine eigene Geschichte vorbrachte. „Ich war damals am Anfang des Gymnasiums, in der fünften oder sechsten Klasse. Wir hatten Religionsunterreicht bei einem Kaplan. Unsere Hausaufgabe war oft, Kirchenlieder und Gebete auswendig zu lernen. Die hörte er im Unterricht ab. Man musste nach vorne kommen. Da hatte er so seine Tasche auf dem Pult stehen. Als Schüler stand man dahinter. Und dann ließ er uns obenrum fromme Texte sprechen, untenrum befummelte er uns“, erklärt Eckhard Hömberg nun noch einmal gegenüber BENE. Seine Empörung ist ihm immer noch anzumerken, dennoch berichtet er, dass er sich durch die schrecklichen Erlebnisse „nicht sondermäßig ge- oder zerstört gefühlt habe“. Es sei ihm gelungen, das Ganze zu verdrängen – bis ins Alter.

Dass auch das nichts Gutes ist, weiß der Mann aus Werden aus professioneller Sicht ganz genau: Aus dem Schüler Eckhard wurde schließlich ein Psychologe, ein weit über die Stadtgrenzen anerkannter Fachmann. Er leitete viele Jahre das Jugendpsychologische Institut Essen, eine große Erziehungsberatungsstelle mit angeschlossenen Therapie-Einrichtungen. Als Fachmann hält er die jetzt vom Bistum Essen geplante Gründung eines Betroffenenbeirats für „eine gute Sache“: „Für die Akteure der Kirche ist es das einzig Mögliche, um glaubhaft zu sein. Zu sagen: ,Wir haben da nicht nur alte Schulden zu bezahlen, altes Leid zu vergelten. Sondern wir wollen heute den Beirat von Euch haben, ob wir in der richtigen Richtung unterwegs sind, damit so etwas nicht mehr passiert. Das ist ein wichtiges Signal für uns Betroffene“, betont der promovierte Psychologe im Gespräch mit BENE nach dem Treffen in der Wolfsburg.

In Erinnerung an diese Veranstaltung und ihre Hintergründe zeigt sich der 69-Jährige – bei allem Rüstzeug, das er allein beruflich mitbringt – tief bewegt. Nicht nur, als er von der spürbaren Demut und dem Problembewusstsein des Bischofs und auch des Generalvikars Klaus Pfeffer erzählt, versagt Eckhard Hömberg immer wieder die Stimme. Auch die Schicksale der anderen Betroffenen, von denen er dort hörte, setzen ihm zu: „Was mich vollkommen überwältigt hat, waren die Geschichten einiger ehemaliger Heimkinder: Das waren erkennbar psychisch und körperlich geschädigte Menschen, die mit einer unheimlichen Wut, Nachdrücklichkeit und verständlichen Betroffenheit ihre Rechte einfordern wollten.“

Nach der Veranstaltung und dem gegenseitigen Austausch stand das Angebot der Bistumsverantwortlichen: Wer bereit wäre zur Mitarbeit im Betroffenenbeirat im Bistum Essen, konnte sich bis Ende August melden. 25 Menschen haben dies mittlerweile getan. Im Oktober werden sie nun das erste Mal zusammenfinden, gemeinsam beraten und festlegen, aus wie vielen und welchen Frauen und Männern aus ihren Reihen sich der Beirat letztlich zusammensetzen soll. Eckhard Hömberg hat beschlossen, nicht anzustreben, Mitglied des Beirats zu werden: „Ich bin gesundheitlich sehr angeschlagen und deshalb immer wieder stark eingeschränkt.“

Der dreifache Vater und sechsfache Opa leidet an Parkinson. Auf anderen Wegen will der Psychotherapeut im Ruhestand bei der Verarbeitung und Vorbeugung sexuellen Missbrauchs helfen. Er hat sich bereit erklärt, die Beauftragten des Bistums Essen, die sich mit diesen Themen beschäftigen, punktuell zu unterstützen. Zum Beispiel, wenn es um die Suche nach Antworten geht, welche Rahmenbedingungen möglicherweise sexuellen Missbrauch den Boden bereiten können – und was man entsprechend ändern muss.

Darüber hinaus möchte Eckhard Hömberg anderen Betroffenen Mut machen, ihr Schweigen zu überwinden und sich professionelle Unterstützung bei der Verarbeitung des Erlebten zu suchen. „Für wertvoll halte ich auch Selbsthilfegruppen. Ich würde mir wünschen, dass das Bistum in Zukunft fördert, dass sich die Betroffenen miteinander austauschen – auch über den Beirat hinaus.“ Mit all diesen gemeinsamen Anstrengungen glaubt er: „Es ist viel zu gewinnen!“

Text Sandra Gerke und Ulrich Lota
 

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