Lebensart

Samuel Koch in BENE: „Der Glaube gibt mir Halt"

Samuel Koch

Samuel Koch (Foto: Michael Englert)

Es passiert oft ganz plötzlich: Das Leben scheint in einem Moment noch in bester Ordnung –  und im nächsten findet man sich mitten im Chaos wieder. Manchmal wiederum gerät man ganz langsam hinein. So ein Durcheinander, das alles ins Wanken bringt, hat viele Gesichter: Es begegnet Menschen unübersehbar im eigenen Zuhause, wenn ihnen die Papierberge auf dem Schreibtisch oder die Kisten im Keller über den Kopf wachsen. Es ist spürbar, wenn es in der Familie kracht und Beziehungen zu zerbrechen drohen. Und es stürzt förmlich über jene ein, die mit einer ärztlichen Diagnose konfrontiert werden, die ihre ganze Zukunft in Frage stellt. Chaos, das das Zeug hat, einen aus der Bahn zu werfen: BENE hat mit vier Menschen gesprochen, die es allzu gut kennen. Den Auftakt macht Samuel Koch: der junge Athlet, der seit seinem Unfall in der TV-Show „Wetten, dass ...“ Ende 2010 im Rollstuhl sitzt. Mit BENE-Redakteurin Sandra Gerke sprach der heute 31-Jährige nach einem Auftritt in Essen-Frohnhausen über Chaos und Neuordnung.

Ein schwarzer Sichtschutz, wenige Meter breit, steht auf der Bühne, die früher mal der Altarraum einer Kirche war: Als alle Zuschauer ihre Plätze im Essener „Lighthouse” eingenommen haben, räumen Helfer das dunkle Gestell zur Seite. Da ist der junge Mann zu sehen, dessen Schicksalsmoment vor gut acht Jahren Millionen Menschen live am Fernsehbildschirm mitangesehen haben. Mit Sprungfedern vollführte der 23-jährige Samuel Koch einen Salto nach dem anderen über fahrende Autos. Bis das Kunststück misslang. „Ich bin mit dem Kopf gegen ein Auto gerannt, habe mir viermal das Genick gebrochen und bin seitdem von selbigem abwärts gelähmt. Ich kann keinen Finger rühren und bin rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen“, beschrieb er es später. Und nun sitzt er also im Rampenlicht in Essen, auf einem grünen Sessel, auf den ihn seine Helfer zuvor, noch von Blicken geschützt, platziert haben. Eine schöne junge Frau geht singend durchs Publikum auf die Bühne zu: Mit der Schauspielerin Sarah Elena Timpe ist Koch seit August 2016 verheiratet. Gemeinsam geben die beiden an diesem Abend Geschichten, Gedichte und Lieder zum Besten. Dem Publikum gefällt es, es lässt sich immer wieder zum Mitsingen animieren und klatscht am Schluss viel Beifall. Doch erst nach dem anderthalbstündigen Auftritt wird die eigentliche Glanzstunde von Samuel Koch beginnen.

„Wer mag, kann noch bleiben, wir kommen gleich ins Foyer”, verspricht er, ehe die Assistenten wieder den Sichtschutz vor ihn stellen, damit der Wechsel in den Rollstuhl in Ruhe über die Bühne gehen kann. Viele Gäste folgen der Einladung. Samuel Kochs Ehefrau Sarah Elena, die aus der ARD-Serie „Sturm der Liebe” bekannt ist, gibt zunächst alleine Autogramme. Als ihr Mann mit seinem Rollstuhl in den Raum fährt, zieht sie sich lächelnd zurück. Was jetzt kommt, kennt sie von anderen Auftritten: Vielen ist es ein Anliegen, ein Wort mit Samuel zu wechseln, sie warten geduldig bis sie an der Reihe sind. Da ist die Frau aus der Wohngruppe für psychisch Kranke, die über die Köpfe der anderen hinweg „Hallo, Samuel!” ruft und kurz von ihrer Freundin berichtet, die nicht mitkommen konnte, weil sie ein Problem mit Menschenmengen hat. Ein ehemaliger Drogenabhängiger nimmt die Hand des Schauspielers, weil er „einfach mal Danke sagen“ will. Dass Samuel in der Öffentlichkeit so viel von seinem christlichen Glauben gerade in Krisenzeiten berichte, habe ihm bei seinem eigenen Weg sehr geholfen. Und dann ist da eine Mutter mit ihren drei Söhnen im Alter von zehn bis 15 Jahren. Sie sind extra für diese Begegnung aus der Nähe von Osnabrück angereist. Der Vater der Familie ist im Sommer an der Nervenkrankheit ALS gestorben. Insbesondere mit dem 15-jährigen Sohn spricht Samuel Koch lange. Der groß gewachsene Jugendliche steht neben dem 31-jährigen Mann im Rollstuhl und weint hemmungslos.

„Ich bin immer noch durchschüttelt von dieser Begegnung gerade“, sagt Samuel Koch, als er schließlich Zeit für ein Gespräch mit BENE hat. Er merkt immer wieder, dass es andere inspiriert, wie er seinen Weg geht. Es scheint Mut zu machen, dass einer nach so einem Unfall mit derartigen Folgen wieder selbstbewusst auf allen möglichen Bühnen steht. Aber: „Das mit dem Jungen war wieder so eine Situation, bei der ich feststelle: Ich kann kein für alle passendes Rezept weitergeben, wie man am besten mit schwierigen Zeiten umgeht, das gibt es nicht”, erklärt Koch. „Das Einzige, was ich dem Jungen sagen konnte, war, dass er die Zeit mit seinem Vater für sich festhalten soll. Mir hilft es immer noch, daran zu denken, was ich alles in den 23 Jahren vor meinem Unfall erlebt habe.“

Während des Gesprächs hält sein Assistent Samuel Koch immer wieder ein Brötchen und eine Wasserflasche samt Strohhalm hin, damit er sich stärken kann. „Natürlich war das damals ein Chaos, das mit dem Sturz in mein Leben gekommen ist – physisch und psychisch. Vorher hab ich mich selbst hauptsächlich über Bewegung definiert – und wurde es auch von außen. Danach musste ich mich plötzlich fragen: Wenn Bewegung jetzt nicht mehr möglich ist – was macht mich noch aus? Darüber musste ich mir klar werden”, erzählt der Blonde mit den hellblauen Augen weiter. „Meine Eltern haben mir und meinen Geschwistern immer vermittelt, dass sie uns bedingungslos lieben. Zum Beispiel, wenn wir mal eine schlechte Note aus der Schule mit nach Hause gebracht haben.“ So, glaubt er, sieht es auch Gott. „Wir sind wertvoll, einfach weil wir sind, auch ohne gute Leistungen”, sagt der 31-Jährige bestimmt. Koch ist evangelischer Christ. „Der Glaube hat für mich immer eine essentielle Rolle gespielt, er gibt mir Halt. Die Hoffnung auf das Leben nach dem Tod ermöglicht doch einen ganz anderen Blick auf das Leben in der Gegenwart, sie ist tröstlich.“

Trotz dieser Perspektive schätzt Koch das Hier und Jetzt. Seine Frau wartet schon auf ihn, es steht trotz vorgerückter Uhrzeit noch eine lange Autofahrt zum nächsten Auftrittsort an. Wie sieht seine berufliche Zukunft aus? „Da kann ich mich noch gar nicht festlegen“, meint er. 2014 schloss er das Schauspielstudium ab, das er vor dem Unfall begonnen hatte. Er hat im Augenblick ein festes Engagement am Nationaltheater Mannheim. „Gerne mache ich dann immer wieder mit meiner Frau auch Veranstaltungen wie diese hier heute Abend.“ Kochs neues Buch „StehaufMensch!“ ist im Januar erschienen (siehe unten rechts) „Noch interessiert das einige Leute. Sobald das mal nicht mehr gelten sollte, werden sich andere Türen öffnen.” Er überlegt kurz und grinst. „Ich wäre sicher auch ein guter Straßenbahnführer, wenn man die Dinger technisch anpasst. Deutschland ist an vielen Stellen noch nicht barrierefrei – da gibt es so manches zu ordnen!”

Buch zu gewinnen:

Samuel Koch widmet sich in seinem neuen Buch „StehaufMensch!“ (adeo Verlag, 20 Euro) dem Thema Resilienz, der psychischen Widerstandskraft – und das auf kritische, kluge und auch witzige Weise. BENE verlost fünf Exemplare. Wer eines davon gewinnen will, kommt bis zum 15. März mit einer Mail (Betreff: „Samuel Koch“) an redaktion@bene-magazin.de in den Lostopf.

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