18. September 2023
NOCH KEINE ERNTE EINGEFAHREN?
Reformprozess der Katholischen Kirche geht weiter
Der Skandal um sexuellen Missbrauch erschüttert seit dem Jahr 2010 die Katholische Kirche in Deutschland. Er brachte einen immensen Vertrauensverlust mit sich. Scharenweise sind Gläubige aus der Institution ausgetreten oder spielen zumindest mit dem Gedanken, es zu tun. Als Antwort darauf hat die Kirche 2019 einen Reformprozess ins Leben gerufen, der dieses Jahr zu Ende gegangen ist: Mit dem sogenannten „Synodalen Weg“ wollte man Lehren aus dem Skandal ziehen und Vertrauen zurückgewinnen. Was es mit diesem Weg auf sich und wohin er geführt hat, erklärt der Journalist Jürgen Flatken für BENE.
Was steckt hinter dem Begriff „Synodaler Weg“?
Der Begriff „Synode“ kommt aus dem Griechischen und heißt übersetzt „gemeinsam auf dem Weg“ oder „Weggemeinschaft“. Im katholischen Sprachgebrauch bezeichnet er eine Versammlung vor allem von Bischöfen. Anders als bei einer Synode waren beim Synodalen Weg auch andere Geistliche sowie katholische und evangelische Vertretende der Zivilgesellschaft, sogenannte Laien und Laiinnen, beteiligt. Die Ergebnisse des Synodalen Wegs haben nur einen beratenden, keinen verpflichtenden Charakter. Bei der Umsetzung liegt das letzte Wort bei den Ortsbischöfen oder dem Papst.
Die Mitstreitenden
Die deutsche Bischofskonferenz war mit allen Bischöfen vertreten. Weitere Teilnehmende kamen aus der Zivilgesellschaft, zum Beispiel dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), katholischen Verbänden, Gruppen, Initiativen und Einzelpersönlichkeiten.
Der Auftrag
Der Synodale Weg hatte zum einen den Auftrag, sexuellen Missbrauch innerhalb der Katholischen Kirche zu verhindern, grundlegende Ursachen für sexualisierte Gewalt anzusprechen und konkrete Veränderungen vorzuschlagen. Dazu galt es, sich die binnenkirchlichen Strukturen anzuschauen. Eine Studie hatte zu der Ein- sicht geführt, dass vor allem diese Strukturen verändert werden müssen. Die vier Arbeitsgruppen des Synodalen Weges haben sich mit folgenden Themenkomplexen beschäftigt:
• Macht und Teilhabe in der Kirche
• Priesterliche Lebensformen, Zölibat (Ehelosigkeit)
• Sexualmoral
• Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche
Die Arbeitsweise
Die Synodalversammlung mit ihren 230 Mitgliedern war eine Art Kirchenparlament des Synodalen Weges. Während der Zeit gab es sechs gemeinsame Treffen für Austausch, Beratung und Abstimmung. Die inhaltliche Arbeit erfolgte in den vier Arbeitsgruppen. Die Gesprächskultur war für katholische Verhältnisse recht revolutionär, da die Bischöfe in den Diskussionen keine Sonderrechte hatten. Alle Teilnehmenden hatten die gleiche Redezeit. Am Ende wurde in der Versammlung über die Ergebnisse der einzelnen Arbeitsgruppen abgestimmt.
„FROH ÜBER DAS ERREICHTE“
Im Interview: Matthias Sellmann, Professor für Pastoraltheologie an der Ruhr-Universität Bochum. Der 57-Jährige ist Mitglied des ZdKs und des Synodalen Weges und Berater der Deutschen Bischofskonferenz.
BENE: Was ist Ihr Fazit des Synodalen Wegs?
Matthias Sellmann: Meiner Meinung nach ist der Synodale Weg ein echter Erfolg. Und ich bin stolz auf die deutsche Kirche. Denn wenn ich mich umblicke in europäischen Ländern und sehe, dass viele Landeskirchen nur wenig, vor allem aber wenig Strukturelles gegen den vielfältigen Missbrauch unternehmen, dann bin ich froh über das Erreichte.
Der Reformprozess hat also sozusagen eine gute Ernte eingefahren?
Wenn wir den Tag als Zeitachse nehmen, würde ich sagen, dass wir in der Mittagszeit angekommen sind. Wir haben schon einiges für den Tag eingestielt. Aber wir können noch nicht ernten. Gerade sind wir erschöpft vom Vormittag und befinden uns im Mittagstief. Aber der Tag hat gut begonnen, die richtigen Weichen wurden gestellt. Nachmittags haben wir ja noch ein paar Stunden Zeit, um das, was wir uns so klug ausgedacht haben, in die Tat umzusetzen. Wir müssen jetzt aber am Ball bleiben und dürfen keine Siesta bis 17 Uhr einlegen. Dann gehen wir, dann geht die Kirche in Deutschland, auf eine gute Ernte zu.
Was ist denn erreicht worden?
Wir haben wichtige Beschlüsse im Bereich der Grundordnung im kirchlichen Arbeitsrecht getroffen. So müssen Arbeitnehmende keine Angst mehr haben, wegen ihrer Lebensführung oder ihrer sexuellen Orientierung gemaßregelt oder entlassen zu werden. Auch sind Segensfeiern für homosexuelle Paare möglich, und dass Frauen in Gottesdiensten predigen. Es soll auch wesentlich mehr Machtkontrolle und Mitentscheidung geben, andere Ausbildungsformen und mehr Vielfalt.
Das ist ja nicht viel, wenn man bedenkt, dass ein zweistelliger Millionenbetrag investiert wurde in den Prozess des Synodalen Wegs ...
Das kann man so sehen. Zum einen reden wir hier aber über eine komplexe und globale Organisation, die sich sehr lange Reformen verweigert hat. Da braucht man auch viel innere Zeit, Vertrauen, erstes Zutrauen in die Prozesse und so weiter. Zum anderen hängt die Langsamkeit auch mit den Abstimmungsmodalitäten zusammen. Die Bischöfe hatten eine Zweidrittelmehrheit. Egal wie wir Laiinnen und Laien abgestimmt haben, eine Minderheit an Bischöfen mit anderer Sichtweise konnte letztlich weitere wichtige Reformvorschläge noch kippen. Deswegen ist es im vergangenen Jahr auch zum Eklat gekommen, als die Mehrheit der Bischöfe die Zustimmung zur Änderung der katholischen Sexualmoral verweigert hat.
Also viel Lärm um nichts?
Nein! Der Synodale Weg hat den Scheinwerfer auf Probleme der Institution gerichtet und Lösungen erarbeitet. Diese gilt es nun umzusetzen. Und es ist ein Ausschuss eingerichtet worden, der sicherstellen soll, dass Bischöfe und Laiinnen und Laien weiter gemeinsam auf dem Weg und miteinander im Gespräch blei- ben. Und die fortschrittlicheren unter den Bischöfen, wie der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, haben zugesagt, dass sie sich daran machen werden, die Umsetzung in ihren Bistümern auszuloten. Es geht also weiter, und es bleibt wichtig und spannend.