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Georgine Kellermann über ihren Lebensweg

Die ehemalige WDR-Journalistin Georgine Kellermann über ihren Lebensweg, Foto: © Annika Fußwinkel/WDR
September 2024

 

„DER LIEBE GOTT HAT DIE FALSCHE VERPACKUNG FÜR MICH GEWÄHLT“

Die ehemalige WDR-Journalistin Georgine Kellermann über ihren Lebensweg

Georgine Kellermann kommt im strahlenden Sonnenschein, elegant im Kleid, mit Perlenkette, 20 Kilometer den Rhein entlanggeradelt zum vereinbarten Treffpunkt, einem Duisburger Ausflugslokal. Dass die Leichtigkeit, die sie ausstrahlt, eine beachtliche Lebensleistung ist, dürfte allen klar sein, die ihre Karriere verfolgt haben: Bevor Kellermann 2023 in Rente ging, war sie über 40 Jahre für den WDR im Einsatz, zum Beispiel in Washington und Paris oder als Leitung der Landesstudios in Duisburg und Essen. 36 Jahre davon allerdings mit anderem Vornamen und entsprechender Kleidung: als Georg Kellermann. Von ihrem Werdegang berichtet sie in ihrem Buch „Georgine – Der lange Weg zu mir selbst“ und im Gespräch mit BENE.

„Meine Befreiung als trans* Frau nach über 60 Jahren“ heißt der Untertitel des im Sommer erschienenen Buches. Kellermann kam im September 1957 dem äußeren Anschein nach als Junge zur Welt. Aber sie selbst merkte schon als Kind, dass da etwas nicht stimmte. Als sie mit zehn Jahren einmal heimlich die Kleidung ihrer Mutter anzog und erwischt wurde, verbrannten die Eltern die Sachen im Küchenofen. Die Situation erschien dem Kind ausweglos. Als Georg ging’s weiter durchs Leben.

Erst mit 62 Jahren traute sich Georgine, die sich bislang nur wenigen Menschen privat gezeigt hatte, auch mit Frauenkleidung in die Öffentlichkeit. Durch ihre leitende Stelle beim WDR hatte diese Offenbarung eine besondere Außenwirkung.

„Der liebe Gott hat die falsche Verpackung für mich gewählt“, beschreibt sie die Herausforderung ihres Lebens scherzhaft. „Der liebe Gott“ spielte durchaus eine Rolle bei den Kellermanns. Die ganze Familie war in ihrer Heimat Ratingen in der katholischen Kirchengemeinde eingebunden, sie selbst war als Georg in der Pfarrjugend aktiv. Einige Freundinnen und Freunde, die sie dort fand, weihte sie früh in ihr Geheimnis ein. Kellermann nennt diese Akzeptanz „gelebte christliche Werte“.

Auch wenn sie sich heute als „nicht mehr religiös“ bezeichnet, kommt sie in ihrem Buch immer wieder auf ihre katholischen Wurzeln zu sprechen. Sie haben offensichtlich Bedeutung behalten für Georgine Kellermann. Und so reagiert sie engagiert auf die Frage nach ihrer Meinung: „Was muss sich tun in der Kirche, damit sich heute und in Zukunft viele Menschen gut aufgehoben fühlen in dieser Glaubensgemeinschaft?“ Kellermann trinkt einen Schluck Limonade und setzt an: „Ich glaube schon, dass sich Kirche nicht nach dem Zeitgeist richten darf. Aber es geht um gesellschaftliche Grundsätze. Da täte sie gut daran, ihre Haltung zu überdenken. Die Kirche ist immer noch ein Spiegelbild des Patriarchats, der Männerherrschaft.“

Durch ihre privaten und beruflichen besonderen Verbindungen zu den USA fällt ihr ein Vergleich ein. „Als Joe Biden kürzlich gesagt hat, er trete nicht mehr zur Präsidentschaftswahl an, da hat er das natürlich auch getan wegen des Drucks, den man auf ihn ausgeübt hat. Aber das ist ein faszinierendes Beispiel dafür, dass ein Mann – der mächtigste der Welt – Macht abgeben kann. Davon können sich manche eine Scheibe abschneiden. Dazu gehören auch einige katholische Bischöfe.“

Zum Wandel fähig sein – ihrer eigenen Familie sei dies gelungen, sagt sie dankbar. Von ihren mittlerweile verstorbenen Eltern spricht sie respekt- und liebevoll in ihrem Buch, das mit dieser Widmung beginnt: „Für meine Mutter und für meine Tochter“.

Georgine Kellermann wird sich gleich wieder auf ihr Fahrrad schwingen. Am nächsten Tag steht eine Reise nach Sachsen an. Sie wird in verschiedenen Städten an queeren Demonstrationen teilnehmen und Lesungen aus ihrem Buch halten. Solche Fahrten sind kein reines Vergnügen. Jeder ihrer öffentichen Auftritte weckt Aggressionen bei Menschen, die nicht akzeptieren wollen, wer sie ist. Auch im Alltag wird sie regelmäßig beleidigt und bedroht. Von Ruhestand kann bei dieser Rentnerin also keine Rede sein. Nach ihrem „langen Weg zu sich selbst“ ist Georgine jetzt für andere unterwegs, will Bewusstsein schaffen. „Es gibt viele, viele, die so sind wie ich“, sagt sie. Und: „Sich um andere zu kümmern, für andere einzustehen, das ist mir wichtig.“

Text Sandra Gerke

 

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