Bewegung

Unterwegs mit einem ehemaligen Kirchenschiff

Foto: Simon Wiggen

Jahrzehntelang war es im Einsatz zwischen Kohle und Stahl, zwischen Seeleuten, Bergmännern und Stahlarbeitern: St. Nikolaus, das Kirchenschiff des Bistums Essen. An Bord wurde gebetet, geheiratet, getauft und zur Erstkommunion gegangen. Und heute?

Die großen Lautsprecher auf dem Dach des Schiffes, durch die früher sonntags Glockengeläut vom Tonband die Binnenschiffer im Duisburger Hafen zum Gottesdienst rief, fehlen heute. Den Klang hat Clemens Rittel (58) aber digital bewahrtund kann ihn über Bluetooth-Lautsprecher abspielen. Zusammen mit seiner Frau Bärbel Dargel (58) hat er das Schiff vor gut einem Jahr gekauft. Neuer Heimathafen ist nun Bremen-Vegesack an der Weser. Der Altar und die Stühle im ehemaligen Kirchenraum sind Bett, Esstisch und Kamin gewichen. Trotzdem wird an jeder Ecke deutlich: Dieses Schiff hat eine Geschichte. Ein kleines Weihwasserbecken am Eingang, hier ein Bild des heiligen Brendan, dort eine Zeichnung des heiligen Nikolaus – beide Schutzpatrone der Seeleute.

Gemütlich ist es an Bord der St. Nikolaus: Im Kamin lodern die Flammen, der Kaffee dampft in den maritimen Tassen auf dem Tisch. Schon jetzt leben Clemens Rittel und Bärbel Dargel fast jedes Wochenende an Bord. „Dank Corona kann ich auch oft unter der Woche mein Homeoffice hierhin verlegen“, sagt der 58-jährige Vater von drei Kindern. „Ich liebe einfach diese besondere Atmosphäre am Wasser.“

Sein erstes Boot kaufte er mit 35 Jahren – ein kleines Motorboot, mit dem er die Weser hinauftuckerte. Mit den Jahren wurden die Fahrzeuge größer und anspruchsvoller. Mit der St. Nikolaus hat das Ehepaar nun das Boot gefunden, auf dem es leben will. „Nicht erst, wenn wir im Ruhestand sind“, sagt Bärbel Dargel. „Wir wollten uns den Traum schon jetzt erfu?llen.“ An Bord des 57 Jahre alten Schiffes gibt es immer viel zu tun. „Da hilft es mir schon, dass ich mal Maschinenschlosser gelernt habe“, sagt der heutige IT-Manager.

Die St. Nikolaus war als fahrendes Gotteshaus konzipiert: vorne eine kleine Küche und der Steuerstand, dahinter ein heller Kirchraum, in dem bis zu 50 Gläubige Platz fanden. Vier Jahrzehnte im Dienst für die Schifferseelsorge im Bistum Essen. Jahrelang an Bord: Pastor Werner Paquet.

Ein Urgestein. Vorbild für den Schifferseelsorger in der Fernsehserie „MS Franziska“ aus den 70er-Jahren, in der auch die St. Nikolaus über den Bildschirm schippert.

Als Werner Paquet 74-jährig im Dezember 2016 starb, sank 400 Kilometer entfernt auch „sein“ Schiff. Da war die St. Nikolaus schon seit ein paar Jahren nicht mehr im Dienst der Kirche, lag in Idensen am Mittellandkanal und wurde als Seminarraum einer Segelschule genutzt. Die Schäden waren groß, aber nicht irreparabel. Ein Werftarbeiter kaufte die St. Nikolaus, machte sie halbwegs seetüchtig und überführte sie 2017 nach Duisburg, wo er sie von Grund auf renovierte.

2020 übernahm das Ehepaar aus Vegesack die St. Nikolaus. „Als wir das Boot gekauft haben, wussten wir nicht, wie bekannt die St. Nikolaus ist“, erinnert sich Rittel. „Auf dem Weg von Magdeburg nach Vegesack wurden wir von zehn Leuten angesprochen, die das Schiff noch aus Duisburg kannten.“ Auch im neuen Heimathafen, dem Kutter- und Museumshafen Vegesack, klopft es immer mal wieder an der Kajütentür, wenn jemand das Schiff wiedererkannt hat.

Nicht nur äußerlich wollen die neuen Besitzer das Schiff, so gut es geht, erhalten. Auch der „soziale und gesellschaftliche“ Charakter des Schiffes solle bestehen bleiben. Für die Zukunft ist der Einsatz zum Beispiel als schwimmende Bühne bei Hafenfesten oder Konzerten geplant.

„Außerdem arbeiten wir mit einer Organisation zusammen, die todkranken Menschen den letzten Wunsch erfüllt“, sagt Clemens Rittel nicht ohne Stolz. Wenn jemand noch einmal Boot fahren oder die besondere Atmosphäre auf dem Wasser, im Hafen oder am Meer erleben wolle, stehe die St. Nikolaus für diesen letzten Wunsch bereit. „Und vielleicht kommen wir ja auch mal zu einem der nächsten Hafenfeste oder zur Fronleichnams-Prozession in den alten Heimathafen Duisburg.“

Text Simon Wiggen

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