Bestimmung

Singles – auch allein komplett!

Junge Frau umarmt sich selbst

Foto: (Krakenimages.com / Shutterstock.com)

Nachts liegt man allein im Bett. Man wacht allein auf, sitzt allein am Esstisch, sieht allein fern. Man organisiert Alltag, Urlaubsreisen und Freizeit: allein. Das erfordert nicht nur Disziplin, Durchhaltevermögen und Selbstbewusstsein, sondern auch Selbstliebe. Solange kein passendes Gegenüber in Sicht ist, muss man sich sein Leben selbst schön machen. Wenigstens ist man damit in guter Gesellschaft. Immer mehr Menschen haben keine Gefährtin oder keinen Gefährten an ihrer Seite. Inzwischen gibt es laut Angabe des Statistischen Bundesamtes in Deutschland knapp 17 Millionen Singles. Davon leben gut drei Millionen in NRW. Höchste Zeit also, auch die Personen in den Blick zu nehmen, die solo durchs Leben gehen.

Diese Idee hatte auch Professor Tobias Künkler. Der Soziologe und Erziehungswissenschaftler leitet das Forschungsinstitut „empirica für Jugend, Kultur und Religion“ an der CVJM-Hochschule In Kassel. CVJM steht für Christlicher Verein Junger Menschen. „Die Kirche ist sehr familienzentriert“, sagt er gegenüber BENE. In Gesprächen mit Singles erfuhr er, welche Auswirkungen das auf sie hat. „Viele von ihnen haben das Gefühl, nicht als eigenständige Gruppe mit eigenständigen Bedürfnissen wahrgenommen zu werden“, erklärt er. Um herauszufinden, wie ihre Lebenswelt aussieht, wie zufrieden sie mit ihrer Situation sind und was sie von der Kirche und der Gesellschaft erwarten, führte er eine großangelegte Studie durch, die als gebundenes Buch erschienen ist (siehe rechts). Seine Kollegen und er interviewten mehr als 3.200 Singles aus ganz Deutschland.

Laut der Ergebnisse der Studie liegt die Lebenszufriedenheit der Befragten auf einer Skala von eins bis zehn bei sieben. Im bundesweiten Durchschnitt liegt sie bei acht. „Das zeigt, dass Alleinstehende in den meisten Bereichen ihres Lebens zufrieden sind“, sagt Professor Tobias Künkler. Was ihnen fehlt, sei die Wertschätzung ihres Single- Daseins. „50 Prozent der Befragten beschwerten sich darüber, dass es in ihrer Gemeinde so gut wie keine kirchlichen Angebote gibt, die sich speziell an sie richten. Ein Drittel der Befragten hat sogar das Gefühl, innerhalb von Kirche stigmatisiert, benachteiligt oder negativ bewertet zu werden.“ Das würden, so der Experte, vor allem die 30- bis 45-Jährigen sagen. Sie nehmen ihr Alleinsein besonders intensiv wahr, da in ihrem Umfeld viel geheiratet wird.

Wer keinen Partner hat, der wird schnell Mal schräg angesehen

Heirat, Hausbau, Familiengründung: Ein Ideal, das uns von Kindesbeinen an eingeimpft wird. „Es gibt bei uns eine historisch bedingte Partnernorm, also die Vorgabe, einen Partner zu haben. Diese Vorgabe wird nicht nur kirchlich, sondern auch gesamtgesellschaftlich geprägt“, erklärt der Soziologe. Es gilt also: Wer in einer Beziehung lebt, der macht irgendwie alles richtig und entspricht der Norm. Wer keinen hat, der wird schnell mal schräg angesehen und als defizitär betrachtet.

Kein Wunder also, dass die meisten Singles danach streben, einen Partner zu finden. Nur wenige gaben bei der Befragung an, gern solo zu sein. Die meisten sehnen sich nach Nähe, Intimität und Geborgenheit. Allerdings ist der Wunsch nach einer Beziehung größer als die Intensität der Partnersuche. Klar: Die Suche schlaucht auf Dauer. Sich immer wieder auf neue Menschen einzulassen, Vorstellungen abzugleichen und Enttäuschungen zu verkraften – dabei geht vielen irgendwann die Luft aus. Die Überzeugung, dass der oder die Richtige schon noch kommen wird, nimmt irgendwann ab. Und: Je länger Menschen allein leben, desto höher werden die Ansprüche, die sie an eine Partnerin oder einen Partner haben. Sein Leben selbst gestalten zu können – ein hohes Gut. Das gibt man nur auf, wenn man jemanden findet, der zu einem passt.

„Auffällig viele gläubige Frauen wünschen sich einen Partner, der ebenfalls Christ ist. Doch davon gebe es, so sagen sie, nur wenige“, berichtet Professor Tobias Künkler. Bei Frauen hakt es also an der mangelnden Auswahl – Männer machen laut der Studie eher ihr Aussehen und ihre Schüchternheit für ihren Status verantwortlich. Um nicht allein zu sein, legen viele Singles Wert auf einen engen Kontakt zu Freunden und Bekannten. Auch eine aktive Freizeitgestaltung spielt für sie eine zentrale Rolle. In Zeiten von Corona eine echte Herausforderung!

Umso notwendiger erscheint es, gerade jetzt eine Anlaufstelle für Alleinstehende zu schaffen. Wobei es sich dabei nicht um Veranstaltungen handeln sollte, die sich als Verkupplungsakti- onen entpuppen, warnt der Forscher. „Vielen Singles ist es wichtig, einen Ort zu haben, an dem sie die Dinge thematisieren dürfen, die sie in ihrem Leben beschäftigen. Um konkrete Angebote für sie zu entwickeln zu können, müssen sie jedoch erstmal gehört und wahrgenommen werden.“

Martina Stodt-Serve aus Essen macht genau das. Sie organisierte bereits zwei Single-Gottesdienste mit anschließenden Möglichkeiten zum Austausch. Etwa 80 Personen besuchten an den beiden Terminen die St. Andreas-Kirche in Essen-Rüttenscheid. Die meisten waren über 40 Jahre alt. „Viele von ihnen machen sich Gedanken darüber, wie es ist, allein alt zu werden“, erfuhr die Gemeindeleiterin aus Gesprächen mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Die Predigt des Gottesdienstes handelte von der biblischen Figur Lydia, einer Purpur- Händlerin, die sich allein durchs Leben schlug. „Das Vorbereitungsteam hat versucht, sich in Lydia hineinzudenken und zu zeigen, wie es ihr ergangen sein könnte“, sagt sie.

Einige Singles finden ihr Glück in alternativen Lebensformen

Das Single-Thema in die Liturgie einzubinden – ein Ansatz, an dem sich Priester ein Beispiel nehmen könnten. „Ich fände es spannend, wenn sich diejenigen, die Kirche gestalten, in der Predigt oder den Fürbitten nicht nur auf Familien und Paare, sondern auch auf Alleinstehende beziehen würden“, sagt Professor Tobias Künkler. Ein weiteres Bedürfnis von vielen Singles ist es, Kontakt zu Menschen zu haben, die in Beziehungen leben. „Sie wünschen sich – und das wird sehr deutlich –, dass es bei gemeinschaftlichen Aktionen keine Trennung zwischen Singles und Familien gibt.“ Man könne sich zum Beispiel auf Gemeindeebene fragen, wie man die unterschiedlichen Gruppen zusammenbringt, schlägt der Wissenschaftler vor.

Herausgefunden hat er außerdem, dass einige Singles ihr Glück in alternativen Formen des Zusammenseins finden. Sie leben in typischen Wohngemeinschaften oder in größeren Gruppen aus Menschen, die füreinander da sind. „Diese Personen waren zufriedener als die Alleinlebenden“, sagt er. Ein Trend, dem man nachgehen sollte. „Vielleicht könnte die Kirche hier eine Avantgarde-Rolle übernehmen und sich überlegen, wie man neuartige Lebensmodelle in der Gesellschaft etablieren kann.“ Ob in einem Single-Haushalt, einer unkonventionellen Gemeinschaft oder der klassischen Familie: Was wohl alle eint, ist der Wunsch nach Liebe und Verbundenheit. Es lohnt sich, auf unterschiedlichen Wegen danach zu streben. Für ein buntes und vielleicht sogar besseres Miteinander.

Text Kathrin Brüggemann

„Christliche Singles: Wie sie leben, glauben und lieben“ (SCM Verlag, 29,99 Euro) von Tobias Ku?nkler, Tobias Faix und Johanna Weddigen ist das Buch zur „empirica“-Singlestudie.

Sie haben Interesse an den nächsten Single-Gottesdiensten in der St. Andreas-Kirche in Essen-Rüttenscheid? Dann kann Gemeindeleiterin Martina Stodt-Serve weiterhelfen. E-Mail-Adresse: stodt-serve@st-lambertus-essen.de

 

 

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