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Blick nach vorn! Im Gespräch mit Sarah Ungar

Sarah Ungar

Sarah Ungar. Foto: Achim Pohl

Wenn man Sarah Ungar (37) gegenübersitzt und sich mit ihr unterhält, fühlt man sich sofort wohl – und willkommen. Die Personalentwicklerin, die beim Industriekonzern Thyssenkrupp Führungskräfte berät, geht unvoreingenommen auf Gesprächspartner zu. Eine Einstellung, die sie sich auch von anderen wünscht.

Was es heißt, Vorurteilen und schiefen Blicken ausgesetzt zu sein, spürt Sarah Ungar tagtäglich. Dennoch scheint die Wahl-Duisburgerin mit sich und der Welt im Reinen zu sein. „Wenn man sich nicht ständig fragen muss, ob man so wie man ist, ,richtig‘ ist, gibt einem das eine gewisse Ruhe“, sagt sie besonnen. Vor zwei Jahren machte sie öffentlich, was sie schon als Sechsjährige wusste: Sie möchte als Frau leben, nicht als Mann. „Mir war schon immer klar, dass ich eigentlich weiblich bin. Ich habe es kultiviert, das zu verdrängen“, gibt Sarah Ungar nachdenklich zu. 

Die aparte Frau wuchs als Junge in einem 20.000-Seelen-Städtchen im Schatten Frankfurts auf. Sie passte sich an, versuchte so zu sein wie die anderen Kinder. Entsprach der Masse, um nicht ausgegrenzt zu werden. „Wenn man anders ist, läuft man Gefahr, dass man nicht
mehr gemocht wird“, sagt sie mit angenehm ruhiger Stimme, während sie ihre rote Brille zurechtrückt. Verdrängen, vertuschen, verzichten: Sarah Ungar lernte schon als Kind, was es heißt, sich nicht ausleben zu dürfen. Lichtblick: Sie entdeckte ihre Leidenschaft für wirtschaftliche Themen, stürzte sich in die sachliche Materie. Nach einem Einser-Fachabitur und einem glänzenden BWL-Diplom legte sie eine steile Karriere bei Thyssenkrupp hin. 2009 übernahm sie die Personalleitung einer Tochterfirma, hatte an vier Standorten Verantwortung für insgesamt 400 Mitarbeiter.

Im Job war sie zu der Zeit Herr Ungar, privat lebte sie bereits als Frau. Ein Doppel-Leben, das Kraft kostete. „Ich bin jemand, der eigentlich immer hundert Prozent seiner Kraft im Job geben möchte. Als Führungskraft wurde das von mir erst recht erwartet“, erinnert sich Sarah Ungar. „Ich habe das zu dem damaligen Zeitpunkt allerdings nicht geschafft. Es gibt Studien, die besagen, dass man bis zu einem Drittel seines Potenzials nicht nutzt, wenn man verheimlichen muss, dass man gleichgeschlechtlich liebt oder transsexuell ist.“
Die Angst davor, den beruflichen Status und die Anerkennung der Vorgesetzten und der Kollegen zu verlieren, war groß. Die Sehnsucht nach einem Leben, in dem sie keine Rolle mehr spielen muss, war größer. „Irgendwann denkt man nicht mehr über das Outing (,Öffentlich machen‘, Anm. d. Red.) nach, man handelt einfach, weil man gar nicht anders kann.“ Sarah Ungar erstellte eine Liste mit Personen, die sie informiert. Eine Erlösung? „Es gab natürlich auch negative Reaktonen. Menschen, die nicht mit meiner Transsexualität* umgehen konnten, die sich von mir distanziert haben.“

Viele reagierten auf ihr Outing allerdings auch überraschend positiv. Einige boten ihr sogar das Du an, da sie sich mit ihr verbunden fühlten, ihre Authentizität und ihre Entschlossenheit schätzten. „Ich stand mit dem Rücken zur Wand, habe alles auf eine Karte gesetzt. Und ich bin immer noch hier“, sagt Sarah Ungar mit einem Lächeln und nicht ohne Stolz. „Es geht darum, Mut zu beweisen und Haltung zu zeigen. Mit offenen Augen durch die Welt zu gehen.“ Die Hobby-Fotografin setzt sich jetzt für Themen wie sexuelle Vielfalt und gegenseitige Wertschätzung und Akzeptanz innerhalb und außerhalb von Thyssenkrupp ein. Erst kürzlich organisierte sie in der Konzernzentrale in Essen eine Podiumsdiskussion, bei der es um die Frage ging, was man gegen die Diskriminierung von Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuellen tun kann. Dazu lud sie auch Klaus Pfeffer, Generalvikar des Bistums Essen, ein. „Die Offenheit von Herrn Pfeffer, die er im Vorgespräch und bei der Diskussion gezeigt hat, war meinen Kollegen und mir sehr sympathisch“, so Sarah Ungar. „Er hat das Publikum für sich eingenommen, das war äußerst beeindruckend.“

Die junge Frau ist evangelisch getauft worden, jedoch kein Kirchenmitglied mehr. Mit 25 Jahren ist sie ausgetreten – negative Erlebnisse hätten sie dazu veranlasst und auch im Nachhinein darin bestärkt. Ein Beispiel: Als sie sich um eine Wohnung in einem kirchlichen Wohnprojekt bewarb, bekam sie eine Absage. Eine Kollegin erzählte ihr später, dass die Projektleiterin der Ansicht sei, Gott habe Menschen wie sie nicht gewollt. „Die Kirche und ich sind vielleicht nicht immer konform“, meint die 37-Jährige. „Dennoch bin ich der lebende Beweis dafür, dass Gott mich so wie ich bin gewollt hat. Es stand dieser Frau nicht zu, zu entscheiden, wen Gott gewollt hat und wen nicht. Ist das nicht eine Anmaßung? Wir sind schließlich alle nur Variatonen der Schöpfung."

Sarah Ungar beweist Weitblick: Ihr sei bewusst, dass die Kirche eine wichtige Institution ist, die Orientierung gibt und eine Verantwortung hat, Hass und Polarisierung entgegenzuwirken. „Kirche muss sich öffnen und durch Magazine wie BENE unter Beweis stellen, dass sie ein Querschnit der Gesellschaft ist.“ Auch die Mitarbeiter, mit denen Sarah
Ungar bei Thyssenkrupp zusammenarbeitet, spiegeln diese gesellschaftliche Vielfalt wider. Das Unternehmen könne es sich gar nicht leisten, auf passende Bewerber zu verzichten, nur weil diese eine sexuelle Orientierung haben, die nicht der Mehrheit entspricht. Ihr Fazit ist deshalb eindeutig: „Es ist wichtig, dass Menschen im Arbeitsmarkt fair und gerecht behandelt werden, völlig unabhängig davon, wie alt sie sind, woher sie kommen, wer sie sind und wen sie lieben.

Text: Kathrin Brüggemann

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