Begegnung

Diese Begegnung ist ein Segen

Zwei Freunde treffen sich nach mehr als 30 Jahren wieder. Sie eint das gleiche Schicksal: Beide haben einen Schlaganfall erlitten.

Es gibt nichts zu beschönigen! Das wird schnell klar beim Blick in die Gesichter der beiden Männer, die am großen Küchentisch in einer Wohnung in Wattenscheid sitzen. Die beiden haben das gleiche Schicksal – und doch erging es ihnen ganz unterschiedlich. Die beiden hatten noch so viel vor, doch dann kam alles anders. Sie trafen sich zum ersten Mal, als sie noch Kinder waren, in den 1970er Jahren – und dann jahrzehntelang nicht. Bis der eine vom Schicksalsschlag des anderen erfuhr – und helfen wollte, weil er Ähnliches erlebt hatte – dreißig Jahre zuvor.

Thomas Fritz und Ralf Kronenberg sind Schlaganfallpatienten. Thomas Fritz verunglückte 1989 bei einem Tauchlehrer- Lehrgang in der Bretagne. „Beim Auftauchen erlitt ich den Infarkt“, berichtet er. Erinnern kann er sich daran nicht mehr. „Die Ausrüstung war vorher vorschriftsmäßig getestet worden. Es war die Crème de la Crème der Tauchlehrer vor Ort. Ansonsten hätte ich wohl nicht überlebt.“

Überleben – was im Rückblick so leicht daher gesagt klingt, ist ein unerbittlicher Kampf. Drei Wochen liegt Thomas Fritz im Koma. Als er aufwacht, sind Ärzte und seine Schwester bei ihm. Er will fragen, was die ganzen Leute in seinem Schlafzimmer zu suchen hätten, und bekommt kein Wort heraus. Der Schlaganfall hat nicht nur seine rechte Körperhälfte gelähmt, sondern auch das Sprachzentrum getroffen. Thomas Fritz ist von einer Sekunde auf die nächste in ein anderes Leben katapultiert worden. „Am Anfang bin ich fast wahnsinnig geworden, weil ich mich nicht artikulieren konnte“, schildert er. Der gelernte Maschinenbauingenieur muss mit damals 28 Jahren alles wieder neu lernen. Laufen, essen, sprechen, sich anziehen, sich waschen, die einfachsten Handgriffe. Anderthalb Jahre verbringt er in Krankenhäusern und Rehabilitationszentren, trainiert hart – mit dem festen Willen, wieder in sein altes Leben als wissenschaftlicher Assistent an der Technischen Hochschule in Aachen zurückzukehren. „Ich hatte große Pläne, doch alles hat sich in Schall und Rauch aufgelöst.“

Er ist dem Beruf nicht mehr gewachsen, muss ihn aufgeben. „Als Schwerbehinderter neu anzufangen, ist nahezu aussichtslos“, weiß er aus Erfahrung – und hat doch Glück im Unglück. Ein ehemaliger Lehrer bringt ihn auf die Idee, sich im EDV-Bereich zu spezialisieren und selbstständig zu machen. Thomas Fritz kehrt nach Bochum zurück, baut sich eine neue Existenz auf. Seit knapp 20 Jahren arbeitet er nun schon in der Erwachsenenbildung. Der Zufall will es, dass er von einem Modellprojekt in Bochum hört. „Die Hochschule für Gesundheit suchte Freiwillige für eine Ausbildung zum ehrenamtlichen Schlaganfallhelfer. Und ich wollte etwas tun.“

Zu diesem Zeitpunkt ist auch Ralf Kronenberg bereits durchs Martyrium gegangen. Im Februar 2011 trifft ihn der Schlag ins Gehirn. Drei Tage lang hatte der gelernte Betriebswirt unter Kopfschmerzen gelitten, er ist Migränepatient, misst den Schmerzen keine größere Bedeutung bei. Doch dann kann er plötzlich auf einem Auge nicht mehr richtig sehen. Seine Frau Karin ruft den Notarzt. Ihr Mann steigt noch selbstständig in den Rettungswagen. Dann verliert er das Bewusstsein. Seine Überlebenschance liege bei 20 Prozent, lassen die Ärzte die verzweifelte Ehefrau wissen. Die Schwellung im Gehirn ist enorm, eine Schädelöffnung, um den Druck im Kopf abzuleiten, unausweichlich. Ralf Kronenberg wird ins künstliche Koma versetzt, liegt dann vier Wochen auf der Intensivstation. Er schafft den Weg zurück ins Leben, aber die Einschränkungen sind enorm. Er ist linksseitig gelähmt, dazu kommt ein „Neglect-Syndrom“, ein halbseitiger Gesichtsfeld-Ausfall. Kronenbergs Gehirn lässt ihn bei der Wahrnehmung all dessen, was sich links vom ihm abspielt, im Stich. Er kann folglich nicht einmal allein über eine Straße gehen. „Ich bin zu 100 Prozent auf fremde Hilfe angewiesen“, sagt er voller Traurigkeit. „Ich war immer ein sportlicher Typ. Es fällt mir schwer, mein Schicksal zu akzeptieren.“ Auch weil er sich nach der ersten Genesung zunächst mehr zutraute. „Ich habe überhaupt keine geistige Einschränkung, das macht es umso bitterer.“

Seine Familie hat all das noch mehr zusammengeschweißt. Die drei Kinder studieren in der Nähe. Sie und seine Frau waren in den vergangenen schweren Jahren der wichtigste Halt. „Wir sind uns alle sehr nah“, sagt Karin Kronenberg. Sie trösten und sind da, wenn ihr Mann an seiner Mutlosigkeit zu zerbrechen droht. Abgesehen von einigen früheren Arbeitskollegen sind andere soziale Kontakt zwangsläufig rar geworden. „Ja, wir haben auch Gott verflucht“, sagt Ehefrau Karin, die schon als Kind an Rheuma erkrankte und sich vor dem Schlaganfall immer auf ihren Mann stützen konnte. „Von Jetzt auf Gleich brach das ganze alte Leben zusammen.“ Vor allem die Sorge, den Alltag zu bewältigen, macht ihr zu schaffen. Dazu kommt ein Dickicht von Bürokratie und Behördengängen, dem sie kaum gewachsen ist.

Und dann gibt es doch einen kleinen Lichtstreif am Horizont. 2013 treffen sich Thomas Fritz und Ralf Kronenberg bei einem Geburtstag wieder. „Als Kinder haben wir hinter der Kirche zusammen Fußball gespielt, doch nach der Schulzeit hatten wir uns aus den Augen verloren“, erzählt Thomas Fritz. „Ich habe meiner Schwester so viel zu verdanken, als ich damals erkrankte“, sagt er. „Das wollte ich weitergeben.“ Er absolviert 2014 eine Ausbildung zum ehrenamtlichen Schlaganfallhelfer. Und bringt den Patienten gleich mit ein: „Ralf war sozusagen mein erster Fall.“ Und so wird er, obwohl selbst stark eingeschränkt, eine wichtige Stütze im Leben der Kronenbergs.

Ralf Kronenberg bedeutet die wieder belebte Freundschaft viel. „Es ist schön, dass wir auch ganz Triviales erzählen und es nicht nur um die Krankheit geht.“ Gemeinsam spazieren sie langsam durch den Garten, Hund Cookie springt fröhlich um sie herum. „Thomas ist ein Segen“, sagt Karin Kronenberg. Auch weil er mit so gutem Beispiel vorangeht. „So etwas wie Thomas würde ich auch gerne machen“, wünscht sich Ralf Kronenberg. Anderen helfen, durch schwere Zeiten zu kommen: „Vielleicht hat jemand eine Idee für mich!“

EHRENAMTLICHE SCHLAGANFALLHELFER – DAS PROJEKT

Das Konzept zur Schulung ehrenamtlicher Schlaganfall-Helfer ist von der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe in Kooperation mit der Hochschule für Gesundheit in Bochum entwickelt worden. Zuletzt konnten Ende Juni zehn Schlaganfall-Helfer aus NRW ihre Zertifikate entgegennehmen. An drei Wochenenden wurden sie zu den Themen „Akutphase Schlaganfall“, „Grundlagen von Rehabilitation und Therapie“, „Kommunikation im Umgang mit Betroffenen“ sowie „Sozialrecht“ unterrichtet. Als Schlaganfall-Helfer werden die Zertifikatträger sich nun in verschiedenen Regionen Nordrhein-Westfalens um die Belange von Schlaganfall- Betroffenen und deren Angehörigen kümmern.

Kontakt zu einem Schlaganfall-Helfer sowie weitere Informationen:
Stefan Stricker (Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe, Tel.: 05241 977049)

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