Leben

„DIE WICHTIGSTE AUFGABE DER KIRCHE: DIE ABGABE VON MACHT“

„Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“ Mit diesen Worten aus dem Vaterunser üben sich Christen im Gebet rituell in Demut. Das Konzept von Schuld, das im religiösen Sinne auch als Sünde bezeichnet wird, ist im christlichen Glauben tief verankert. Zwar sagt die Bibel, Gott habe den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen, doch bleibt dieser am Ende ein unvollkommenes Geschöpf – schwach, verführbar und mit allen erdenklichen irdischen Lastern behaftet. Im Sinne der Kirche galt diese Annahme bislang allerdings nur für die Gläubigen, während die Vertreter der kirchlichen Institutionen mittelbar und der Papst bis heute ganz offiziell einen Anspruch auf „Unfehlbarkeit“ erheben.

Jetzt, wo das schier unerträgliche Ausmaß des Leides von Tausenden Kindern und Jugendlichen allein in Deutschland erahnbar wird, die über Jahrzehnte von Geistlichen sexuell missbraucht wurden, erhält die Kirche für diese Haltung die Quittung. Denn gehört das Kleinhalten des einzelnen Gläubigen und das Erzeugen von Schuldgefühlen – vor allem in Bezug auf die Sexualität – seit jeher zum Markenkern der Katholischen Kirche, sind ihre Funktionäre im Umgang mit eigener Schuld hingegen blutige Anfänger. Das Hinterfragen vermeintlich „gottgegebener“ Autorität sieht das System nicht vor.

Die erschütternden Zahlen der durch die Deutsche Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen Missbrauchsstudie führen der Kirche nun mit aller Härte ihr systemisches Versagen vor Augen. Zu Tätern geworden sind nicht nur Geistliche, die sich aktiv an Schutzbefohlenen vergangen, sondern auch Kirchenobere, die von dem Unrecht wussten und es billigend in Kauf genommen haben. Opfer wurden im Stich gelassen und Täter geschützt – es wurde im großen Stil verleugnet, vertuscht, heruntergespielt und unter den Teppich gekehrt. Damit haben die Kleriker Wunden in Kinderseelen geschlagen, die keine Therapie der Welt und auch keine materielle Wiedergutmachung jemals heilen könnten.

Wie soll nun eine Kirche weitermachen, die ihr höchstes Gut, ihre Glaubwürdigkeit als moralische Instanz, verspielt hat? So viel ist klar: Sie muss komplett bei Null anfangen. Unerlässlich dafür ist eine bedingungslose Kooperationsbereitschaft der Kirche mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden und größtmögliche Transparenz. Immer lauter werden unter reformbereiten Kirchenvertretern auch die Zweifel zum Beispiel an der Sinnhaftigkeit des Zölibats, da es im Verdacht steht, erst den Nährboden für sexuellen Missbrauch zu bereiten.

Als einfache Erklärung für sexuelle Übergriffe von Geistlichen taugt es allerdings nicht. Denn dies würde nicht nur alle unbescholtenen Kirchenvertreter unter Generalverdacht stellen, sondern auch den Tätern eine wohlfeile Rechtfertigung für ihre Verbrechen liefern, für die viele von ihnen nicht einmal mehr strafrechtlich belangt werden können. Auch werden in der Debatte um den Missbrauch und im Ringen der Kirche um den richtigen Weg, ihn künftig zu vermeiden, in diesen Tagen viele sinnvolle Forderungen gestellt: Der Ausbau von Präventionsangeboten, das Thematisieren von Sexualität in all ihren Erscheinungsformen im Priesterseminar sowie die Schaffung unabhängiger Anlaufstellen für Missbrauchsopfer in der Kirche sind nur einige davon.

Die wichtigste und zugleich schwierigste Aufgabe für einen Neubeginn der Katholischen Kirche liegt aber in der Abgabe von Macht. Die Priester müssen von der Kanzel herabsteigen und sich mit den Gläubigen auf Augenhöhe begeben, um die hierarchischen Strukturen der Kirche als eine – im Hinblick auf die Amtsträger – in sich geschlossene Männergesellschaft aufzubrechen. Sie sind gewöhnliche Menschen und damit nur Diener Gottes, nicht aber seine Stellvertreter. Niemand ist unfehlbar; auch – und erst recht – nicht der Papst, der mit homophoben Äußerungen jüngst wieder Öl ins Feuer des Diskurses gegossen und sich mit der Aufarbeitung der Schuld seiner Kirche bislang nicht mit Ruhm bekleckert hat.
Wenn die Kirche es ernst meint mit ihrem Bekunden, sexualisierte Gewalt in ihrem Namen bekämpfen zu wollen, reichen Lippenbekenntnisse nicht aus. Sie muss handeln. Das bedeutet auch, übergriffig gewordene Kleriker konsequent aus dem Amt zu entfernen. Anstatt sie, wie in der Vergangenheit häufig geschehen, an eine andere Wirkungsstätte zu versetzen und damit das Unheil nur zu verlagern.

Auch genügt es bei Weitem nicht, sich nur auf die Täter zu konzentrieren: Wir müssen uns um die Opfer kümmern. Ihnen gilt unsere Aufmerksamkeit, unser Mitgefühl, unsere Hilfsbereitschaft. Auch potenzielle Opfer müssen wirkungsvoll geschützt werden. Schon im Kindergartenalter sollte Kindern daher eine wichtige Botschaft vermittelt werden: Sie allein bestimmen über ihren Körper. Sie haben das Recht, laut „NEIN“ zu sagen, wenn jemand ihnen zu nahe kommt – egal, um wen es sich handelt. In Workshops und Rollenspielen lässt sich eine solche Haltung spielerisch trainieren. Auf diese Weise sollte die Kirche jungen Menschen den Rücken stärken, damit sie selbstbewusst durchs Leben gehen und Grenzen ziehen können, sobald jemand versucht, diese zu überschreiten. Getreu dem Motto: „Bis hierhin und nicht weiter.“ Dann wäre schon viel gewonnen.

Tilgen kann die Kirche ihre Schuld in Bezug auf die massenhaften Missbrauchsfälle indes nicht, höchstens anerkennen. Verantwortung für das Geschehene zu übernehmen bedeutet neben angemessener materieller Entschädigung für die Opfer auch, jede einzelne Leidensgeschichte ernstzunehmen und den Betroffenen ein dauerhaftes Sprachrohr zu geben. Ihre Schicksale dürfen niemals in Vergessenheit geraten

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