Dezember 2024
SCHON WIEDER WEIHNACHTEN?
Die Theologin Bernadette Wahl, Referentin für Glaubenskommunikation im Bistum Essen, zum prominentesten Geburtstag unserer Zeitrechnung
Gerade war doch noch Sommerurlaub. Und jetzt steht schon Weihnachten vor der Tür. Während das Jahr an mir vorbeirauscht, halte ich kurz an und frage mich: Was gibt es eigentlich noch zu sagen über die Geburt Jesu, was nicht schon alle wissen? Sie kennen die Geschichte mit dem Stall, den Hirten, dem Stern und dem Gott, der Mensch wird. Hier beginnt die Glaubensgeschichte, die viele Menschen auf der ganzen Welt zu einem Leben für das Gute und zur Nächstenliebe inspiriert. Was können dieses Baby und seine Geschichte uns zu Weihnachten im Jahr 2024 Neues sagen? Hier sind meine Gedanken zu dem besonderen Geburtstag, an dem sich unsere Zeitrechnung orientiert ...
DAS JAHR NULL
Auch ohne das Kürzel „n. Chr.“ ist jede Jahreszahl, die ich in meinen Kalender schreibe, an der Geburt Jesu orientiert (Genaueres dazu auf den Seiten 24 und 25). Dabei gibt es in der Geschichte viele andere Anlässe, die unsere Gesellschaft nachhaltig prägen. Allein 2024 haben wir 75 Jahre Grundgesetz und 35 Jahre Mauerfall gefeiert. Es ist doch erstaunlich, dass eine so intime und verletzliche Situation wie eine Geburt am Anfang einer so großen Bewegung wie des Christentums steht.
Sicher kennen viele Menschen persönliche „Jahr-null-Momente“ auch in ihrem Leben. Solche Ereignisse können die Richtung eines Lebens radikal ändern. Für manche ist es ein Tag oder ein Jahr, in dem sie eine wichtige Entscheidung trafen. Das kann die Berufswahl, ein Umzug, eine Beziehung, der Schritt ins Elternsein oder die Genesung von einer Krankheit sein.
Diese Momente sind häufig voller Emotionen und Konsequenzen, die weit über den Moment hinausgehen. Sie sind wie das Laden eines neuen Betriebssystems, eine Trennung von „Vorher“ und „Nachher“. Nach einem „Jahr-null-Moment“ ist das Leben nicht mehr dasselbe.
TROTZ ALLEM: FRIEDEN
Die Weihnachtsgeschichte dreht sich um ein Baby. Ganz verletzlich, auf Hilfe angewiesen. Maria und Josef erleben in der Nacht im Stall eine stille Nacht. Eine heilige Nacht. Weihnachten, so wie es in der Bibel beschrieben wird, ist ein Moment von echtem Frieden. Und das, obwohl die äußeren Umstände alles andere als ruhig und friedlich sind. Jesus wird in einer Zeit geboren, in der grausame Entscheidungen getroffen werden, zum Beispiel von König Herodes. Er ordnet aus Angst vor Machtverlust die „Kindermorde von Bethlehem“ an.
Was wäre, wenn es Weihnachten auch heute darum ginge, Frieden zuzulassen trotz aller echten Sorgen und Gefahren – weil Gott sich drum kümmert? Was wäre wohl, wenn Menschen für einen Moment auf ein fast verrücktes Vertrauen in Gott setzen würden. Vertrauen darauf, dass nichts in dieser Welt passiert, von dem Gott nichts weiß, und dass er alles in seinen Händen hält. Alles, was gerade in den USA passiert, die Neuwahlen in Deutschland, die Kriege, die katastrophalen Klimaereignisse und alles, was wir so persönlich mit uns rumtragen. Weihnachten wäre dann eine Zeit, in der all das für ein paar Stunden losgelassen werden darf, ohne es romantisch-kitschig zu überdecken oder kleinzureden.
WARTEN AUF DEN HEILIGEN MOMENT
Als junges Mädchen habe ich viele Jahre an Weihnachten auf diesen einen Moment gewartet, an dem ich Frieden spüre. Das Gefühl, dass das Gute in mir ankommt. In den großen Weihnachtsfilmen ist das oft der Moment, in dem es dann – lang ersehnt – doch noch anfängt zu schneien und alle selig aus den Fenstern schauen. Vielleicht klingt das kitschig. Heute weiß ich, dass mein Instinkt gut war. Ein Schritt hat mir aber noch gefehlt: die Fähigkeit, selbst aktiv auf das zu vertrauen, an was ich glaube. Im Glauben generell und auch an Weihnachten ist es nicht so, dass sich wie von Zauberhand ein übernatürlicher Frieden in mir einstellt, auf den ich nur warten muss. Es liegt auch ein ganzes Stück an mir, ob ich mich auf den mir angebotenen Frieden einlassen oder ihn sogar selbst anstoßen kann. Gott und ich arbeiten sozusagen zusammen.
Vielleicht entdecken auch Sie einen „Jahr-null-Moment“ in Ihrem Leben, wollen „Frieden trotz allem“ einmal ausprobieren oder arbeiten dieses Jahr noch enger mit Gott zusammen. Nehmen Sie sich den Aspekt, den Sie gerade am besten brauchen können. Denn ob Weihnachten Ihnen etwas bedeutet und, wenn ja, was – das entscheiden Sie letztlich für sich allein.