Glaubenssatz

Sexueller Missbrauch in der Kirche: Was jetzt passiert

Ein weißer Pfeil zeigt nach rechts

Foto: pixabay | Montage Bistum Essen

EIN JAHR DANACH

Im Herbst 2018 schlug das Dokument hohe Wellen. Als die Studie mit dem Titel „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige“ von der Deutschen Bischofskonferenz vorgestellt wurde, berichtete auch BENE ausführlich darüber (Heft 28). Das Ausmaß der Verbrechen, das durch die Forschungsarbeit (auch „MHG-Studie“ genannt) ans Tageslicht kam, erschüttert bis heute. Die Katholische Kirche im Bistum Essen hatte schon vor Veröffentlichung der Studie einen bestimmten Weg eingeschlagen: Sie will konsequent sexualisierte Gewalt in ihren Einrichtungen verhindern und aufdecken, den Opfern Hilfe geben und die Täter bestrafen. Um all das umzusetzen, hat das Bistum eine Steuerungsgruppe gegründet. BENE fragt zwei Mitglieder dieser Gruppe nach dem Stand der Dinge – und wird auch in Zukunft das Thema im Blick behalten. 

BENE: Herr Generalvikar Pfeffer, was ist im Bistum Essen bereits gegen sexuellen Missbrauch getan worden und welche Schritte stehen noch an?

Klaus Pfeffer: „Durch die Mitteilungen vieler Betroffener sind in den letzten Jahren zahlreiche Fälle von sexualisierter Gewalt ans Licht gekommen. Oft liegen die Verbrechen mehrere Jahrzehnte zurück. Deshalb haben wir schon vor einigen Jahren in unseren Personalakten nach Hinweisen auf bislang unentdeckte Missbrauchsfälle gesucht. Eine unabhängige Rechtsanwaltskanzlei hatte dazu die Personalakten aller noch lebenden Priester und Diakone analysiert – 1549 Akten waren es insgesamt. Bei den Diakonen fanden sich keine Auffälligkeiten, bei den Priestern gab es in 17 Fällen Unregelmäßigkeiten, wie zum Beispiel unbegründete Stellenwechsel, die inzwischen geklärt werden konnten. Die weiteren Akten, in denen bekannte und verfolgte Missbrauchsfälle dokumentiert sind, wurden ebenfalls gesichtet. Im letzten Jahr haben wir sie der Staatsanwaltschaft zu einer nochmaligen Überprüfung zugestellt, damit kein strafrechtlich relevanter Hinweis übersehen wird.

Jetzt wollen wir die Hintergründe des sexuellen Missbrauchs aus einer breiten wissenschaftlichen Perspektive untersuchen lassen. Dazu arbeiten wir mit einem Institut zusammen, das über Erfahrungen mit der Aufarbeitung sexueller Gewalt verfügt. Eine Studie soll herausfinden, was in der Vergangenheit dazu beigetragen hat, im Ruhrbistum sexuellen Missbrauch durch Priester und andere Mitarbeitende zu ermöglichen: Warum wurden Verbrechen nicht aufgedeckt, sondern verharmlost oder gar nicht wahrgenommen? Wie konnte es geschehen, dass Täter geschützt und stillschweigend versetzt wurden? Was haben Betroffene aus ihrer Perspektive uns zu sagen? Denn ein Ziel der Studie soll auch sein, den Erfahrungen der Betroffenen von sexualisierter Gewalt mehr Gehör und Aufmerksamkeit zu schenken.

Wichtig ist, dass die Katholische Kirche aus dieser schrecklichen Geschichte lernt. Es gibt viele Ursachen für sexualisierte Gewalt, die mit kirchlichen Strukturen, Haltungen und Lehren zu tun haben. Wir wollen wissen, was wir verändern müssen – und dann auch Veränderungen vorantreiben.“

BENE: Frau Qualbrink, wir Katholiken sind Teil einer Kirche, in der Frauen der Zugang zum Priesteramt verwehrt wird und in der Männern, die Priester sind, verboten ist, ihre Sexualität zu leben. Und dann gibt es ausgerechnet in katholischen Institutionen ein auffallend hohes Ausmaß an Fällen sexualisierter Gewalt. Kann das Zufall sein?

Andrea Qualbrink: „Nein, das ist kein Zufall. Die MHG-Studie erklärt, dass es Zusammenhänge zwischen den Strukturen der Katholischen Kirche und den vielen Fällen sexualisierter Gewalt gibt. Demnach ist zum Beispiel die Frage nach der Ehelosigkeit von Priestern, dem Zölibat, relevant. Die Autoren der Studie vermuten, dass die Verpflichtung zum Zölibat bestimmten Priestern die falsch verstandene Möglichkeit bietet, sich mit der eigenen sexuellen Identitätsbildung nicht ausreichend auseinandersetzen zu müssen. Für Priesteramtskandidaten mit einer unreifen und abgewehrten homosexuellen Neigung könnte das zölibatäre Leben als Lösung ihrer inneren Probleme erscheinen. Irgendwann in ihrer Laufbahn – etwa aufgrund von Überforderung und Isolation – bricht sich die Sexualität dann als sexueller Missbrauch Bahn.

Und dann die Tatsache, dass zum Priesteramt in der Katholischen Kirche nur Männer zugelassen sind: Sie hat zur Folge, dass an vielen Stellen geschlossene Männerbünde existieren. In Männerbünden, die mit Macht zu tun haben, ist – so einer der Verantwortlichen der MHG-Studie – Loyalität von großer Bedeutung. Auch dies kann das Vertuschen von Taten befördern. Darum ist es wichtig, solche männerbündischen Strukturen und Kulturen aufzubrechen. Und die Macht selbst muss zum Thema gemacht werden. Denn wir wissen aus der MHG-Studie, dass die eigene Überhöhung von Priestern aufgrund ihres Weiheamtes auch zu Machtmissbrauch führen kann. Sexueller Missbrauch ist ein extremer Missbrauch von Macht.

Im Fokus unserer Bemühungen im Bistum Essen stehen die Betroffenen sexualisierter Gewalt und der Schutz von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in der Kirche. Weil die Studie so deutlich auf die Zusammenhänge zwischen den Strukturen der Katholischen Kirche und sexualisierter Gewalt hinweist, ist es so wichtig, dass wir uns auch mit diesen Strukturen auseinandersetzen. Es ist erbärmlich, dass es solch einen Anlass braucht, aber es ist unumgänglich, das ,System Kirche’ jetzt zu prüfen und zu
verändern.

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