Glaubenssatz

Die Kirche am Abgrund? Zwei Sichtweisen!

BENE-Leserin Elisabeth Hartmann-Kulla, Foto: Nicole Cronauge

Elisabeth Hartmann-Kulla, BENE-Leserin aus Wattenscheid

„,Das war’s jetzt mit der Kirche‘ – den Impuls hatte ich in der Vergangenheit schon öfter. Ich erinnere mich noch, wie mich der Umgang mit Aids in den 80er-Jahren schockiert hat, als die Katholische Kirche diese Krankheit als ,Strafe Gottes‘ ansah. Oder als kirchenkritischen Theologen wie Hans Küng und Eugen Drewermann die Lehrerlaubnis entzogen wurde. Da habe ich mich gefragt: Muüsste ich nicht eigentlich austreten?

Und dann die vielen Missbrauchsfälle! Erst als Erwachsene ist mir wieder eingefallen, dass wir in meiner Kindheit einen Kaplan hatten, der auf einmal verschwunden war. Mein Vater sagte damals nur: ,Der hatte was mit Messdienern.‘ Weiter wurde nicht darüber geredet. Vor ein paar Jahren hat mich dann der Fall eines Priesters, der bei uns in der Gemeinde eingesetzt worden war, obwohl er ein verurteilter Missbrauchstäter war, einmal mehr vom Hocker gehauen.

Ich bin jetzt 67 Jahre alt – und geschieden. Eine Wiederverheiratung wäre nicht möglich gewesen, weil ich ,in Lehre und Verkündigung‘ tätig war, wie es so schön heißt: Ich habe 42 Jahre als Religionslehrerin gearbeitet. Dass das Bistum Essen jetzt offiziell sagt, dass der Familienstand oder die sexuelle Orientierung keine Rolle spielen bei einer Anstellung, finde ich gut. Aber das reicht nicht.

Es müsste so vieles grundlegend reformiert werden! Das Pflichtzölibat gehört abgeschafft. Frauen muüssen die gleichen Rechte wie Männer in der Kirche bekommen – auch Priesterinnen werden dürfen. Dafür setze ich mich mit der Bewegung Maria 2.0 und in der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands ein.

Die Lage der Katholischen Kirche hat sich immer weiter zugespitzt in den letzten Jahren. Und dann lief Ende Januar im Fernsehen die Doku ,Wie Gott uns schuf‘, bei der sich Menschen im kirchlichen Dienst zu ihrer Homosexualität bekannt haben. Zu hören, wie existenziell beeinflussend es war, lange nicht dazu stehen zu können, hat mich bewegt.

Meine beiden Söhne sind aus der Kirche ausgetreten. Ich kann sie verstehen. Und doch habe ich mich entschieden zu bleiben. Das wiederum finden meine Kinder gut. ,Liebe deinen Nächsten, deine Nächste wie dich selbst‘ – die Botschaft Jesu. Das ist der Wert, der erhalten und weitergegeben werden muss. Für den es sich zu kämpfen lohnt. Ich denke da auch an meine Enkel und alle, die nach uns kommen.

Das wird uns nicht gelingen, wenn alles so bleibt, wie es ist. Ich engagiere mich deshalb weiter für Veränderung. Meine katholische Glaubensgemeinschaft ist es wert, erhalten zu bleiben. Ich vermeide an der Stelle bewusst den Ausdruck Katholische Kirche. Die Amts- kirche wird nicht in der jetzigen Form bestehen bleiben. Sie wird entweder zusammenbrechen, sich selbst erledigen durch Skandale und immer mehr Austritte. Oder wieder stark werden durch grundlegende Reformen.

 

Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen

„Wir stehen mit der Katholischen Kirche nicht nur am Abgrund, sondern sind bereits weit in den Abgrund geraten. Vor allem der Skandal des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker hat schreckliches Leid offenbart, das Kindern und Jugendlichen zugefügt wurde. Unfassbar, wie viele Lebensgeschichten dadurch schwer beeinträchtigt oder sogar zerstört wurden.

Das Gutachten des Erzbistums München und Freising hat einen besonders erschreckenden Fall eines Essener Priesters beschrieben, der unzählige Menschen über Jahre hinweg an verschiedenen Orten missbraucht hat. Dieser Fall steht exemplarisch für ein großes Desaster. Eine eigene Studie zum sexuellen Missbrauch in der Geschichte des Ruhrbistums wird im Laufe dieses Jahres wahrscheinlich auch zeigen, dass es bei uns ähnlich war wie anderswo: Unter dem Deckmantel von Religion und Glaube sind Verbrechen geschehen. Aber für die Opfer, die Betroffenen der sexuellen Gewalt, interessierte sich niemand. Alles drehte sich um den Schutz der Kirche und ihrer übergriffigen Priester.

Ich habe mir bis 2010 nicht vorstellen können, was geschehen ist. Das beschämt mich. Ich frage mich, warum ich nicht früher wahrgenommen habe, was unter der Oberfläche des kirchlichen Lebens an Unheil geschah. Vor allem die Begegnungen mit den Betroffenen sexueller Gewalt haben mir die Augen geöffnet. Die Verbrechen haben zu tun mit grundsätzlichen Missständen in der Katholischen Kirche.

Es wundert mich deshalb nicht, dass Zorn und Wut bei vielen Menschen so groß sind. Über Jahrzehnte haben Vertreter der Kirche hohe Ansprüche formuliert und den Zeigefinger über andere erhoben. Jetzt wird massives moralisches Versagen aufgedeckt.

Der Vertrauensverlust ist enorm. Selbst viele, die sich lange Zeit nicht vorstellen konnten, die Kirche zu verlassen, sind gegangen oder denken über den Abschied nach. Die Gefahr ist groß, dass die Zahl der Austritte ein Ausmaß annimmt, das unsere Kirche in ihrer Existenz gefährdet. Dem können wir nur noch eine radikale Erneuerung entgegensetzen.

Das Amt in der Katholischen Kirche braucht Demut, Menschlichkeit und auch Kontrolle in der Machtausübung. Die Kirche darf keine lebensferne Institution sein, die Menschen kleinmacht. So hat zum Beispiel die rigide Sexualmoral Verletzungen und Gewissensnöte ausgelöst – und Menschen ausgegrenzt.

Ich mache mich stark für eine Kirche, die anders wird – in der sich Menschen sicher fühlen, in der es ein gleichberechtigtes Miteinander gibt und niemand fürchten muss, aufgrund seines Geschlechtes, seiner sexuellen Identität oder seines persönlichen Familienstands verurteilt oder benachteiligt zu werden. Ich mache mich stark für eine Kirche, in der jeder Mensch spürt, von Gott geliebt und gewürdigt zu sein – und ein erfülltes Leben in Freiheit führen kann.“

Wie sehen sie das?

Schreiben Sie uns, was Sie über die aktuelle Lage der Kirche denken. BENE möchte in der nächsten Ausgabe eine Auswahl der Einsendungen abdrucken. Kürzungen behält sich die Redaktion vor. Wenn Sie keine Veröffentlichung wünschen, geben Sie uns einfach einen Hinweis.

Ihre Zuschriften erreichen die Redaktion per E-Mail an meinung@bene-magazin.de oder per Post an Redaktion BENE, Zwölfling 16, 45127 Essen, Betreff: „War’s das jetzt?“. Bitte geben Sie für eventuelle Rückfragen Ihre Telefonnummer an. Die Daten werden nach Verwendung nicht gespeichert.

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