Das Bistum Essen mit seinen 43 Pfarreien muss massiv sparen: Ein Gespräch über Zukunftsprozesse, Finanz-Knappheit und den kreativen Umgang damit.
Da wo weniger Geld ist, muss man kreativer sein. Not macht erfinderisch. Davon können die Pfarreien und kirchlichen Einrichtungen im Bistum Essen ein Lied singen. Zahlreiche Veränderungen sind in vollem Gange. Bis 2030 müssen in den Pfarreien rund 50 Prozent der Kosten eingespart werden. Schon bis 2018 soll in allen wesentlichen kirchlichen Handlungsfeldern klar sein, wohin die Reise geht. Ein Mammutprojekt, das am Ende, so hoffen die Verantwortlichen, ein anderes, kleineres, aber auch konzentrierteres und präsenteres Bild von Kirche vor Ort abgeben soll. Wie das gelingen kann? BENE sprach mit dem Finanzchef des Bistums Essen, Daniel Beckmann.
BENE: Es heißt immer, Kirche sei so reich. Warum trifft das auf das Bistum Essen so nicht zu?
Beckmann: Das Bistum Essen ist noch sehr jung. Bei der Gründung vor knapp 60 Jahren wurde es aus Mutterbistümern heraus gegründet und nicht mit dem Vermögen ausgestattet, das sich in anderen Bistümern über Jahrhunderte angesammelt hat. Außerdem ist die Wirtschaftskraft im Ruhrgebiet nicht so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Wir bekommen also weniger Kirchensteuereinnahmen als andere Bistümer. Daraus ergibt sich, dass wir verhältnismäßig geringe Rücklagen besitzen und so gut wie keine Erträge aus Vermögen wie Immobilien fließen. Das Bistum Essen finanziert sich somit ausschließlich aus den Kirchensteuereinnahmen – sozusagen von der Hand in den Mund.
BENE: Der Ruf mancher Bistümer ist wegen öffentlicher Geldverschwendung ordentlich in Misskredit geraten. Inwieweit hat das Ihre Arbeit hier erschwert?
Beckmann: Interessanterweise ist das Gegenteil der Fall. Es erleichtert mir die Arbeit. Weil ich aufgrund der Vorkommnisse in anderen Bistümern hier in Essen klare Strukturen und Prozesse weiter durch- und umsetzen kann, um Transparenz und Mitgestaltung zu sichern. Dabei werde ich von der Bistumsleitung sehr klar unterstützt. Das war übrigens von Anfang an der Fall.
BENE: Die Zahl der Kirchensteuer-Zahler wird weiter zurückgehen. Nun sollen bis 2030 die Kosten der derzeit noch 43 Pfarreien um bis zu 50 Prozent sinken.
Beckmann: Zunächst einmal gehen wir davon aus, dass das Kirchensteueraufkommen bis 2030 grob stagnieren wird. Stagnation deshalb, weil die Katholikenzahlen zwar weiter zurückgehen, es aber einen gleichzeitigen Anstieg von Löhnen und Gehältern gibt, der sich wiederum in höheren Einkommens- und Kirchensteuern niederschlägt – weitgehend stabile Wirtschaftsentwicklung vorausgesetzt. Es wird aber im Umkehrschluss auch steigende Ausgaben, verursacht durch Inflation, höhere Lohn-, Investitions- oder Instandhaltungskosten geben, die zu kompensieren sind – durch Einsparungen an anderer Stelle.
BENE: Sie sagen Stagnation, und es klingt irgendwie nach optimistischer Rechnung ...
Beckmann: Nein, das ist nach unserer derzeitigen Einschätzung der realistische Basisfall. Der Plan ist dennoch anspruchsvoll und schwerwiegend genug. In den Pfarreien wird zum Teil jetzt schon von der Substanz gelebt, mancherorts sind Ausgaben höher als Einnahmen und es wird laufend Vermögenssubstanz verzehrt. Da müssen wir in Zukunft besser werden.
BENE: 50 Prozent Einsparungen erfordern drastische Maßnahmen. Wie soll das zu schaffen sein?
Beckmann: Das ist natürlich ein grober Durchschnittswert. Bis 2020 sollen es 30 Prozent sein, bis 2030 dann 50 Prozent. Ich glaube, es ist ein natürlicher Prozess, der mit der kleiner werdenden Kirche einhergeht. Und er bietet auch Chancen der Aufgaben- Konzentration, die in den diversen Pfarreientwicklungsprozessen vor Ort angestoßen werden. Der aktuelle Restrukturierungsprozess zeichnet sich ja dadurch aus, dass er an der Basis angelegt ist: die Pfarreien planen selbst und setzen auch selbst um. Im Vordergrund des gesamten Prozesses steht nicht das Sparen, sondern die inhaltliche Arbeit, das pastorale Konzept der Zukunft. Das Sparen ist die Nebenbedingung. Es geht primär darum, nachhaltige Zukunftsprojekte für die kommenden Jahre umzusetzen.
BENE: Auch wenn die Bistumsleitung die Entwicklung der Basis überlässt und sich in Zukunft Nachhaltigkeit erhofft, zunächst einmal müssen Sie sich mit den Ängsten der Menschen in den Pfarreien auseinandersetzen.
Beckmann: Die Ängste sind wie bei jeder Veränderung normal und verständlich. Sie müssen zur Sprache gebracht werden. Dafür gibt es Gesprächsforen in den Pfarreien und in der Diözese. An vielen Stellen wird auch Trauerarbeit zu leisten sein – wenn man beispielsweise an die Aufgabe symbolträchtiger Kirchenstandorte denkt, wo Menschen getauft wurden, zur Kommunion gegangen sind oder geheiratet haben. Ich möchte aber betonen, dass bei aller Sorge auch viel Einsicht gewachsen ist. Den meisten Pfarreimitgliedern ist klar, dass vieles vor Ort so nicht weiter aufrecht zu erhalten ist – in einer offenkundig kleiner werdenden Kirche. Sich dieser Aufgabe zu stellen, ist sicher mühevoll. Aber man sieht auch viel guten Willen und erfährt gute Ideen.
BENE: Macht Finanznot demnach kreativ und flexibel?
Beckmann: Tatsächlich beneiden uns andere Bistümer manchmal sogar. Bei uns ist die Finanzlage der Auslöser und ein Segen, ohnehin nötige pastorale Prozesse für eine neue und hoffentlich positive Kirchenentwicklung in Gang zu bringen, die anderswo, wo mehr Geld da ist, gar nicht oder nur schwer zu realisieren sind.
BENE: Was nimmt die Kirche ein, wofür gibt sie Geld aus? Machen Sie doch bitte mal die Rechnung für uns auf!
Beckmann: Wir haben jährlich etwa 260 Millionen Euro Gesamteinnahmen, davon sind knapp 200 Millionen Euro Brutto-Kirchensteuereinnahmen und rund 35 Millionen Euro Zuschüsse des Landes zum Betrieb der Schulen. Unser Grundauftrag „Verkündigung, Gottesdienste feiern und Dienst am Menschen“ zeigt sich konkret in der Gemeindearbeit, und da fließt auch das meiste Geld rein. Für die gemeindliche Seelsorge, den Betrieb und Unterhalt der Kirchen geben wir etwa 70 Millionen Euro aus, für die Arbeit an den Schulen rund 45 Millionen Euro und den Betrieb der Kitas einen Eigenanteil von rund 20 Millionen Euro. Unser Caritas-Zuschuss beträgt rund 15 Millionen Euro. Daneben gibt es natürlich noch viele kleinere Posten zum Beispiel für die Bildungseinrichtungen und auch überdiözesane Verpflichtungen. Zum Vergleich: Das Bistum Münster hat beispielsweise einen Haushalt von rund 450 Millionen Euro.
BENE: Gibt es Sorgenkinder im Haushalt?
Beckmann: Konkrete Sorgenkinder kann ich in der jetzigen Phase des Prozesses gar nicht nennen. Grundsätzlich sollen alle kirchlichen Handlungsfelder hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Arbeit und auch der Finanzierbarkeit unter die Lupe genommen werden. Da sind wir jetzt mittendrin. Wir müssen den Verantwortlichen ja auch die Chance und Zeit geben, nachhaltige Lösungen zu finden.