Glaubenssatz

Farbe bekennen: Tätowierungen und Theologie

Theologin Sarah Marie Hendrix

Theologin Sarah Marie Hendrix Foto: Achim Pohl | Bistum Essen

Das geht unter die Haut

Ihr Blick ist so stechend wie die Farben ihrer Tätowierungen, die Dekolleté, Schultern, Arme und Beine zieren. Theologin Sarah Marie Hendrix (29, links beim Foto-Shooting auf der Zeche Zollverein) aus Essen fällt auf. „Meine Tätowierungen sind für mich Türöffner", verrät die junge Frau. „Vor allem auf die biblischen Motive werde ich oft angesprochen."

Besonders prägnant: Das Symbol des Sündenfalls, das man über ihrem Dekolleté erkennt. „Ich sehe das Symbol als Mahnung. Es erinnert mich an mein Glaubensbekenntnis." Auf ihrem rechten Bein versteckt sich eine weitere Tätowierung, die einen biblischen Bezug hat. Man sieht eine Forelle, die eine Bibel im Maul hält. „Der Fisch wurde früher als christliches Erkennungssymbol verwendet", erklärt sie. „Die Bibel ist ein offensichtliches Symbol für das Christentum." Sarah liest regelmäßig in der Bibel, schöpft daraus Kraft. „Ich habe nicht so oft das Bedürfnis, in die Kirche zu gehen. Ich verstehe Menschen, die die Kirche als Ort brauchen, um in Kontakt mit Gott zu treten, das finde ich auch gut. Ich kann mich aber auch so mit Gott connecten (dt.: „verbinden"). Meinen Glauben lebe ich an Orten aus, die mir wichtig sind."

Einer dieser Orte ist das Grab ihres Großvaters, das auf einem Friedhof in Duisburg liegt. Er starb, als sie fünf Jahre alt war. „Das war ein herber Verlust", sagt sie leise. Jeder Ort, an dem man sich besinnen kann, kann zu so einem Kraftort werden, findet sie. „Der Glaube kann schon eine große Stütze sein, wenn man in Situationen gerät, die allein schwer zu meistern sind." Worte, die unter die Haut gehen. „Tätowierungen können auch von anderen Schmerzen ablenken", gibt sie zu.

Um ihren Glauben zu vertiefen, studierte sie nach dem Abitur katholische Theologie auf Lehramt. Ihr Religionslehrer, den sie in der 13. Klasse hatte, motivierte sie dazu. „Das war der erste Lehrer, der Religionsunterricht zum Anfassen gemacht hat", so Sarah. „Er hat sich Mühe gegeben, den Unterricht modern aufzuziehen und mit einer aktuellen Thematik zu verbinden."

Auf ihre starken Tätowierungen habe sie weder von Dozenten noch von Kommilitonen negative Reaktionen erhalten. „Als ich während des Studiums Schulkinder auf die Erstkommunion vorbereiten wollte, habe ich mit Skepsis gerechnet. Aber auch hier wurde ich mit offenen Armen empfangen." Die Drittklässler hätten begeistert Nachfragen zu ihren Tattoos gestellt. „So hatte ich direkt einen Gesprächseinstieg. Kommunionsunterricht mit Leib und Seele sozusagen." I kab

Tattoos als Chance, um ins Gespräch zu kommen

Patrik Dzambo (29) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Religionspädagogik und Katechetik an der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Sein Forschungsgebiet: Die theologische Relevanz von Tätowierungen. „Die Zahl derjenigen Tätowierungen, die explizite Inhalte aus der jüdisch-christlichen Glaubenstradition zum Gegenstand haben, hat zugenommen", sagt er. Warum dieses Phänomen für die Kirche eine echte Chance sein kann, erklärt er im Interview.

BENE: Lieber Herr Dzambo, sind Tätowierungen in der katholischen Kirche ,erlaubt‘?

Patrik Dzambo: Wenn wir uns die christliche Traditions- und Überlieferungsgeschichte ansehen, zeigt sich grundsätzlich ein ambivalentes Bild. In der Bibel gibt es Passagen, die als Verbot von Tätowierungen gelesen werden. Es gibt aber auch Passagen, die im Sinne einer Tätowierung aufgefasst werden können. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte Kainsmal. Zur Erklärung: Nachdem Kain seinen Bruder Abel umgebracht hatte, versah Gott ihn mit einem göttlichen Zeichen.

BENE: Frühchristen ließen sich die Anfangsbuchstaben Christi auf Stirn oder Handgelenk tätowieren. Ein Zeichen für die Zugehörigkeit zum Glauben?

Dzambo: Genau. Dieser Funktionszusammenhang spielt in Diaspora-Gebieten, also in jenen Gebieten, in denen Christen die Minderheiten bilden, eine Rolle. Koptische Christen in Ägypten tragen bis heute ein Kreuz auf der Innenseite des rechten Handgelenks als Zeichen der religiösen Abgrenzung gegenüber dem Islam. Darüber hinaus kennen wir religiöse Tätowierungen insbesondere im Kontext des religiösen Pilgerns. Solche Pilgertätowierungen waren zum Beispiel in Mittelitalien bis ins 19. Jahrhundert hinein weit verbreitet und haben in Jerusalem bis heute Tradition. Insgesamt zeigt sich, dass Tätowierungen für uns Christen kein unbekanntes Phänomen sind, sondern zum Teil fest in unseren religiösen Zusammenhängen verankert waren oder heute noch sind.

BENE: Inwiefern haben Tätowierungen denn nun eine theologische Relevanz?

Dzambo: Tätowierungen können der Theologie helfen zu verstehen, was Menschen umtreibt. Die religiösen Tätowierungen sind besonders interessant, weil hier Menschen selbstständig und fernab der Kirchenmauern mit christlichen Glaubensbeständen hantieren. Natürlich muss man kritisch prüfen, ob dieser Umgang problematische Tendenzen aufweist. Letztlich ist der selbstgesteuerte Umgang mit dem Glauben für Theologie und Kirche aber eine Chance, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Es ist eine Bewegung vom Menschen hin zur Religion. Dieses Potential kann man heutzutage durchaus im Hinblick auf religiöse Bildungsprozesse fruchtbar machen,zum Beispiel in der Katechese oder im schulischen Religionsunterricht.

BENE: Was bedeutet das konkret?

Dzambo: Kirche überlegt ja, wie sie junge Menschen erreichen kann. Hier sind es die jungen Menschen selbst, die zur Kirche sprechen. Man muss einfach nur noch hinsehen und über die Tätowierungen in ein kritisch-produktives Gespräch über Glauben und Religion kommen. Inhaltlich könnte man fragen, welche Gottesbilder und Vorstellungen hinter den Tätowierungen stecken. Das kann ganz neue Perspektiven eröffnen.

BENE: Warum lassen sich Menschen Tätowierungen mit religiösen Motiven stechen?

Dzambo: Es kann natürlich sein, dass sich jemand ein biblisches Motiv aus ästhetischen Gründen stechen lässt. Es deutet allerdings darauf hin, dass sich hinter jeder religiösen Tätowierung eine Form des Glaubensbekenntnisses verbirgt. Tätowierunge können auch religiöse Funktionen erfüllen, beispielsweise als eine Art Schutz-Amulett, das dem Träger Sicherheit gibt. Trauertattoos wie ein Grabstein oder ein Kreuz mit den Initialien des Verstorbenen können dabei helfen, den Tod eines geliebten Menschen zu verarbeiten.

Das Gespräch führte Kathrin Brüggemann

 

 

 

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