Glaubenssatz

Christ sein in Zeiten des Terrors

Katharina Klöcker
Foto: Achim Pohl

Katharina Klöcker (Ruhr-Universität Bochum Katholische Theologie)

Am 20. März ist ihr Buch zum Thema erschienen: Katharina Klöcker, Freiheit im Fadenkreuz. Terrorbekämpfung als christlich-ethische Herausforderung, 
1. Aufl., Herder-Verlag, 19,99 Euro

Die Anschläge der vergangenen Jahre stellen uns vor ganz neue Aufgaben: Katharina Klöcker,  Juniorprofessorin für Katholische Theologie, Schwerpunkt Ethik, an der Ruhr-Universität Bochum im Gespräch mit BENE über Angst, über Sicherheit und Freiheit und die ethischen Herausforderungen im Antiterror-Kampf.

BENE: Wie würden Sie die gesellschaftspolitische Lage des Landes im Moment beschreiben?

Katharina Klöcker: Neben all den politischen Auseinandersetzungen, die uns derzeit beschäftigen, von Trump bis Erdogan, begleitet uns das Thema Terrorismus seit dem 11. September 2001 stetig. Nach einer Studie aus dem vergangenen Jahr sagen die Deutschen mehrheitlich, dass sie am meisten Angst vor Terrorismus haben, also nicht vor Arbeitslosigkeit, vor Scheidung, vor Krankheit, sondern vor terroristischen Anschlägen. Das schafft eine Atmosphäre der Unsicherheit, die politisch relevant wird. Das sieht man im Erstarken von Parteien, die diese Ängste nicht nur aufgreifen, sondern schüren und instrumentalisieren.

BENE: Wie würden Sie Terrorismus heute definieren?

Klöcker: Mit Terrorismus verbinden wir brutale unkalkulierbare Gewalt, die sich gegen unschuldige, oftmals willkürlich ausgewählte Opfer richtet und die möglichst viel Aufmerksamkeit erregen und dadurch Angst und Unsicherheit erzeugen will. Anders als beispielsweise noch beim RAF-Terror in den 1970er Jahren haben wir es heute meist mit Selbstmordattentätern zu tun, die fundamentale Übereinkünfte in Frage stellen. Ein Krimineller muss damit rechnen, dass er für seine Untat bestraft wird. Ein Selbstmordattentäter setzt diese Logik außer Kraft, ihm geht es nicht einmal mehr um Selbsterhaltung. Dadurch laufen die bewährten Mittel konventioneller Verbrechensbekämpfung ins Leere. Das ist eine ungeheure Provokation und Infragestellung unserer Sicherheit.  

BENE: Stichwort Sicherheit: Terrorakte, wie wir sie zuletzt  erlebt haben, sind  Angriffe auf unsere freiheitlichen Werte. Lässt sich unsere Freiheit nur durch mehr Sicherheit und damit nur durch Einschränkungen der Freiheit verteidigen? 

Klöcker: Die zentrale Frage ist, ob wir die Angst, die der Terror erzeugt, durch mehr Sicherheitsvorkehrungen tatsächlich beseitigen können. Machen viele Maßnahmen nicht vielmehr bewusst, wie verwundbar unsere Gesellschaft wirklich ist? Vieles ist ja nicht kontrollierbar. Natürlich dürfen wir das elementare Grundbedürfnis nach Sicherheit nicht vernachlässigen. Aber eswird gefährlich, wenn wir Freiheitsrechte zu bereitwillig einschränken. Bei jeder die Freiheit einschränkenden Maßnahme sollten wir uns fragen, ob sie nicht mehr Schaden als Nutzen im Hinblick auf unsere Demokratie bringt – sich also als kontraproduktiv erweisen könnte. Gerade mit Blick auf die anstehenden Wahlen haben Politiker eine große Verantwortung, besonnen zu bleiben, unsere demokratischen Grundüberzeugungen zu schützen und nicht die Angst parteipolitisch auszuschlachten. So verlockend es ist, denn in diesem Bereich sind natürlich Punkte zu holen.

BENE: Sie plädieren für einen ethischen Ansatz in der Sicherheits-Debatte. 

Klöcker: Wichtig ist, sich im Klaren darüber zu sein, dass es zwei Waffen des Terrors gibt. Die erste ist, durch einen möglichst verheerenden Anschlag möglichst viel Angst in einer Gesellschaft zu erzeugen. Und die zweite ist unsere Reaktion auf den Anschlag. Die zweite Waffe wird unterschätzt, sie ist aber zerstörerischer als wir glauben, und zwar auf eine heimtückische Art und Weise: Terroristen wollen uns zu ihren Handlangern machen. Wir sollen aus Angst vor der Bedrohung unsere freiheitlichen Gesellschaften von innen her aushöhlen. In diese Falle sollten wir nicht tappen. Das heißt:  Wir dürfen uns nicht von der Angst beherrschen lassen. Es muss intensiv darüber diskutiert werden, wie viel Sicherheit überhaupt gewährleistet werden kann und welche Freiheitsbeschränkungen wir in Kauf nehmen dürfen, welche nicht. Zum Beispiel ist das Recht auf Privatheit ein Wert, den wir unbedingt verteidigen müssen, denn er ist eine Voraussetzung für eine stabile Demokratie. Es braucht eine breite gesellschaftliche Debatte – wie es sie zum Beispiel auch beim Thema Sterbehilfe gab. Warum nicht auch Ethikkommissionen zu Fragen der Sicherheit einrichten? Und natürlich sind da auch die Theologien im Konzert der Wissenschaften gefragt! 

BENE: Terroranschläge wie die des IS oder der vom IS beeinflussten Attentäter werden im Namen von Religion verübt. Welchen Zusammenhang sehen Sie da?  

Klöcker:  Die Frage, inwiefern Religion Radikalisierung und Gewalt begünstigt oder überhaupt erst entstehen lässt, ist höchst umstritten. Völlig klar ist, dass dabei fundamentalistische Lesarten bestimmend sind, die die Grundüberzeugungen der jeweiligen Religion völlig verzerren. Religiöser Fundamentalismus birgt große Gefahren, für jede Religion. Vergessen sollten wir nicht, dass muslimische Länder viel stärker vom Terror bedroht sind als wir in Europa. Hierzulande legt es der Terror explizit darauf an, dass Muslime unter Generalverdacht geraten. Terroristen nutzten die Flüchtlingsrouten, damit die Menschen, die vor Terror und Krieg flohen,  unter Verdacht gerieten. Eine perfide und leider ziemlich erfolgreiche Strategie.

BENE: Wir teilen die Welt gerne auf in Gut und Böse. Inwieweit taugen wir denn selbst als moralische Instanz?

Klöcker: Es ist naheliegend, den Terrorismus als eines der größten Übel der Gegenwart zu bezeichnen. Viele sagen, der Terror ist absolut böse und unbegreiflich. Ich glaube, darin liegt eine Gefahr. Wir dürfen gerade nicht auf das Denken verzichten. Wir müssen versuchen, den Hass zu begreifen. Der Versuch, den Hass zu begreifen, bedeutet nicht, ihn in irgendeiner Weise zu akzeptieren oder gar rechtfertigen zu wollen. Doch nur so geraten die Ursachen des Terrors in den Blick und auch die - zugegebenermaßen nicht sehr angenehme Frage - welchen Anteil auch die westlichen Gesellschaften an seinem Entstehen haben. Unser Fokus liegt auf der Bekämpfung. Prävention heißt Verhinderung eines Anschlags. Prävention muss aber vor allem heißen, die Bedingungen, die den Terrorismus begünstigen, zu beseitigen. Zumal der Terrorismus nicht mehr nur in fernen Weltgegenden entsteht, sondern auch mitten in unserer Gesellschaft. Gerade die jüngsten Anschläge lehren uns, dass die Frage nach gelingender Integration im Hinblick auf Terrorbekämpfung immer relevanter wir. Täter radikalisieren sich mitten in Europa, mitunter blitzartig. Das ist gefährlich, weil herkömmliche Prävention dann nichts mehr ausrichten kann. Und sie wissen genau, wo unsere Gesellschaft besonders verwundbar ist. 

BENE: Wie können wir vor dem Hintergrund des christlichen Glaubens den  Terrorismus bekämpfen?

Klöcker: Indem wir uns mit der Verwundbarkeit des Menschen auseinandersetzen und verstehen, dass Sicherheit nicht die uns erlösende Macht ist. Dass sich Gott als verwundbares Kind zeigt und später als Mann, der am Kreuz gefoltert wird, ist  eine nahezu unglaubliche Aussage. Gott begegnen wir in der äußersten Verwundbarkeit. In einer Gesellschaft, die unverwundbar sein will, ist diese Perspektive  3   eine heilsame Provokation, denn sie kann die Perspektive verändern: Wir erkennen dann, dass die Verwundbarkeit der Preis dafür ist, in einer freiheitlichen Gesellschaft leben zu können. Letztlich ist  diese Verwundbarkeit also etwas sehr Kostbares, sie schützt uns vor dem Kalkül des Terrors. Das Christentum hat zudem das Potential, unsere Angst ein Stück weit zu entmachten. Was uns hier bedrängt, wird  nicht das allerletzte Wort haben. Wenn man sich von seiner Angst zu distanzieren vermag, ist man zu anderen Handlungen fähig. Man wird mutiger und weitsichtiger. Das weiß jeder aus eigener Erfahrung. Und das befähigt zum Widerstand gegen jeden Versuch einer Politisierung unserer Ängste. 

BENE: Mal weg von der Theorie: Was kann jeder Einzelne tun?

Klöcker: Jeder kann mithelfen, dass die demokratischen Strukturen lebendig bleiben, durch Teilnahme, durch Engagement. Es geschieht ja auch in beeindruckender Weise, wie wir konkret an der Flüchtlingshilfe sehen. Wir müssen wachsam sein gegenüber politischen Entscheidungen im Namen der Sicherheit, gegenüber Strukturen und Mechanismen, die in unserer Gesellschaft Radikalisierung begünstigen. Wir sollten Argumente einfordern und einen bewussten Umgang  mit Medien einüben. Vieles, was gezeigt wird, dient zwar der  Information, aber schürt auch Angst und Unsicherheit. Man muss sich keine Hassvideos anschauen, sondern jeder kann  sich sehr gezielt und vor allem dosiert bei seriösen Medien informieren. 

BENE: Sollen wir Christen denn nicht eigentlich die andere Wange hinhalten, wenn wir geschlagen werden … ?

Klöcker: Die Stelle aus der Bergpredigt ist tatsächlich eine Schlüsselstelle. Müssen wir uns als Christen demütig, duldsam verhalten, wenn wir angegriffen werden? Ist das der christliche Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte, frage ich etwas provokant. Ich plädiere für eine andere Lesart. Es geht gerade nicht darum, sich passiv zu verhalten. Die andere Wange hinzuhalten, ist – im kulturhistorischen Kontext von vor 2000 Jahren –  gerade keine Geste der Unterwerfung, sondern die Konfrontation des Gegners mit seiner eigenen Gewalt. Sie hat die eindeutige Stoßrichtung, sich der Gewalt des Gegners zu widersetzen, aber auf  kreative, kluge, gewaltlose Art. Ich glaube, Jesu Botschaft ist sehr aktuell: Wir dürfen uns von Terroristen nicht diktieren lassen, wie wir auf ihre Gewalt reagieren. Ihre Mittel dürfen nicht unsere Mittel sein.

BENE: Wie steht es um die Feindesliebe?

Klöcker: Das Gebot der Feindesliebe verändert ebenfalls die Perspektive. Ich soll mich fragen, warum ich eigentlich zum Feind des Anderen wurde. Nur wer bereit ist,  die Motive des Gegners zu begreifen, kann den Gewaltkreislauf unterbrechen. 

BENE: Welche Rolle sollte die Kirche in der Debatte einnehmen?  

Klöcker: Ich halte es für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Sicherheit ist meines Erachtens dringend geboten.  An der Debatte sollte sich auch die Theologie beteiligen. Und natürlich haben die  Kirchen eine wichtige Stimme. Nicht  zuletzt beim Thema Integration haben sie sich ja schon sehr deutlich positioniert. 

BENE: Wie bewerten Sie die Formel: Wer christlich ist, muss auch politisch sein? 

Klöcker: Das ist für mich keine Frage:  
Ein Christ wird und muss sich in der Gesellschaft engagieren.       

Das Gespräch führte Jutta Laege         

 

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