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Wenn das Leben rast – Zeitdiebe stoppen

Foto: AdobeStock/Oleg

Dezember 2024

ZEITDIEBE STOPPEN

Ganz im Moment sein: Wie gelingt das?

„Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon so spät?“ Das Schlusslied aus dem Zeichentrick-Klassiker „Der rosarote Panther“ trifft wohl das Lebensgefühl vieler Menschen, wenn der Jahreswechsel bevorsteht. Die vergangenen zwölf Monate scheinen nur so vorbeigeflogen zu sein. Der Eindruck entsteht, dass die Zeit – eigentlich doch eine objektive, messbare Größe – immer schneller verrinnt. Kann das sein?

Ein Anruf bei einem, der es wissen muss: Jonas Geißler arbeitet als Zeit-Experte in München, er berät Unternehmen im Umgang mit der kostbaren Ressource und schreibt Bücher zum Thema. Das Gefühl einer Beschleunigung unserer Zeit ist nicht falsch, bestätigt der Experte. „Wir erleben eine ungeheure Verdichtung in unserer Gesellschaft, angetrieben durch technische Errungenschaften wie das Smartphone oder künftig auch durch Künstliche Intelligenz.“

Die Zahl unserer Möglichkeiten ist sprunghaft gestiegen, gleichzeitig steht uns aber nach wie vor nur begrenzte Zeit zur Verfügung. Das kann schon mal zur „Fear of missing out“, kurz: FOMO, dem Gefühl, etwas zu verpassen, führen. Die erste Erkenntnis: Wir sind reich an Möglichkeiten. Diese Freiheit hat aber auch den Preis, dass wir eine Wahl treffen müssen. „Ein kluger Umgang mit der Zeit beruht auf klugen Entscheidungen“, sagt der Zeit-Experte.

Entscheidungen, die zu uns passen und unseren zeitlichen Bedürfnissen entsprechen. Das bezeichnet Jonas Geißler als „Zeit-Wohlstand“: Zunächst einmal gehört dazu, dass wir einen guten Wechsel aus Aktivität und Erholung pflegen und nicht gehetzt durch den Tag gehen. Dazu gehört aber ebenso, dass wir den Moment bewusst erle- ben, beispielsweise einem Gespräch aufmerksam folgen oder ein Essen wirklich genießen – ohne dabei mit den Gedanken in der Vergangenheit oder Zukunft zu sein. „Entscheidend ist nicht, wie viel Zeit wir haben, sondern wie viel wir von der Zeit haben“, erklärt Jonas Geißler.

Ohnehin ist die Zeit keine so objektive Größe, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, auch wenn wir sie in ein immer engeres Korsett aus Sekunden und Millisekunden gepresst haben. Das weiß jeder, der schon einmal längere Zeit im Wartezimmer des Zahnarztes verbracht oder auf einen Krankenwagen gewartet hat. Manche Zeiten erscheinen uns gedehnt wie Kaugummi, andere Zeiten fliegen nur so vorbei. Und je älter man ist, desto schneller scheint die Zeit zu vergehen. Verantwortlich ist dafür die Psychologie unseres Zeitempfindens: Neue Erfahrungen dehnen die gefühlte Zeit aus, während Routinen sie verkürzen.

Umso wichtiger ist es, die Zeit bewusst zu verlangsamen und auszudehnen. „Das gelingt vor allem mit Tätigkeiten, die uns wirklich berühren, bei denen wir ganz im Moment aufgehen“, sagt Jonas Geißler. Das kann eine intensive Begegnung sein oder die Beschäftigung mit einer Lieb- lingstätigkeit: Musik hören, im Garten buddeln, ein Bild malen, im Chor singen, ins Museum gehen ... Dem Zeitforscher gelingt dieses Aufgehen im Moment, wenn er als Wellenreiter auf einem Surfbrett steht.

Um diese Qualitätszeit zu haben, ist es aber auch notwendig, Zeitfresser auszubremsen. Einer der großen Zeitdiebe unserer Zeit ist das Smartphone. Neun Jahre Lebenszeit verbringen wir durchschnittlich damit – laut einer Studie der Vergleichsplattform „WhistleOut“ aus dem Jahr 2020. Der Wert dürfte inzwischen noch gestiegen sein. Unsere Mediennutzung führt zu einem Phänomen, das die Harvard-Forscherin Ashley Whillans als „Zeitkonfetti“ bezeichnet: Kurze Unterbrechungen zum Lesen von Nachrichten oder Social Media zerfasern unsere Freizeit so, dass letztlich kein Raum für Muße oder Qualitätszeit bleibt. Gute Gründe also, einfach mal abzuschalten. Denn letztlich gilt, wie es der Zeit-Experte formuliert: „Die Stunden, die zählen, sind die, die wir nicht zählen.“

Text Jutta Oster

5 TIPPS FÜR EINEN GUTEN UMGANG MIT DER ZEIT

Für zeitliche Vielfalt sorgen: Wir können nicht immer nur rennen, aber auch nicht immer nur bummeln. Der Zeit-Experte Jonas Geißler rät deshalb dazu, die „Vielfalt der Zeiten“ zu pflegen. Es darf Phasen geben, in denen wir ruhig mal Gas geben, es muss aber auch solche geben, in denen wir uns erholen.

Rituale schaffen: Gute Gewohnheiten wie die kleine Kaffeepause am Vormittag oder der Spaziergang zum Feierabend können wie ein Anker im Alltag sein. Sie gliedern den Tag und sorgen dafür, dass wir kleine Pausen zum Atemholen haben.

Im Rhythmus leben: Aus einer Lerche, einem „frühen Vogel“, macht man keine (Nacht-)Eule – und umgekehrt. Deshalb ist es so wichtig, im eigenen Rhythmus zu leben und wichtige Aufgaben so zu legen, dass sie während des persönlichen Leistungshochs erledigt werden. Für einen Morgenmenschen ist das der Vormittag.

Alles schön der Reihe nach: Schnell, schneller, gleichzeitig? Lieber nicht! Für „Multitasking“, das parallele Erledigen von Dingen, ist der Mensch nicht gemacht, es führt nur zu Stress, Erschöpfung und Fehlern. Deshalb lieber eines nach dem anderen in Angriff nehmen.

Einfach mal abschalten: Die zeitlichen Grenzen verschwimmen immer mehr, viele Menschen lesen berufliche Mails zum Beispiel auch am Abend. Umso wichtiger ist es, bewusst Grenzen zu setzen und sich so Freiräume zu schaffen.

Buchtipp

Harald Lesch, Karlheinz A. Geißler, Jonas Geißler: Alles eine Frage der Zeit. Warum die „Zeit ist Geld“– Logik Mensch und Natur teuer zu stehen kommt. oekom-Verlag, München 2021, 20 Euro

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