Teaser 1

Schubladen im Kopf: Denkmuster aufbrechen

shutterstock.com/Anrephoto

Juni 2025

UMPARKEN IM KOPF

Warum wir oftmals in Schubladen denken – und wie wir das überwinden

Die Socken in die Box, die Wäsche in die Schublade, die T-Shirts gefaltet und gestapelt in den Schrank – Ordnung macht das Leben leichter. Auch unser Gehirn schätzt ein gewisses Maß an Aufgeräumtheit: Wir neigen dazu, unsere Eindrücke und Gedanken fein säuberlich in Schubladen zu sortieren. Das ist praktisch, denn es erspart unserem Kopf viel Arbeit. Gleichzeitig kann es uns aber auch passieren, dass wir bestimmte Menschen oder Erfahrungen in Schubladen stecken.

Von solchen Stereotypen gibt es viele: Frauen können nicht einparken und Männer nicht zuhören. Die Deutschen sind Meister der Pünktlichkeit, und Italiener lieben das Chaos. Die junge Generation stellt die Freizeit über die Arbeit, und die ältere Generation will das Ruder nicht abgeben. Schublade auf, Schublade zu. Warum neigen wir zum Kategorisieren? „Es reduziert die Informationslast und hilft uns, das Leben besser zu organisieren“, sagt Boris Suchan, Psychotherapeut, Professor und Leiter der Arbeitsgruppe „Klinische Neuropsychologie“ an der Ruhr-Universität Bochum. „Vermutlich hätten wir Menschen sonst gar nicht so lange überlebt. Wer erst lange überlegen muss, ob der Säbelzahntiger freundlich oder gefährlich ist, wird zum leichten Opfer.“

Schubladendenken hilft uns also, Situationen blitzschnell einzuschätzen und die Welt zu sortieren. Und das ist dringend notwendig, denn das Leben ist komplexer geworden. Täglich strömen unzählige Reize und Eindrücke auf uns ein. Da ist der Energiesparmodus des Gehirns durchaus angebracht. In der Regel wenden wir beim Kategorisieren zwei verschiedene Strategien an: Entweder ordnen wir Informationen anhand eines Prototyps ein. Oder wir gleichen auf der Suche nach Ausnahmen mit konkreten Beispielen ab. Dabei sind jeweils verschiedene Bereiche des Gehirns aktiv. Das konnte der Neuropsychologe zusammen mit einem Forscherteam anhand von Untersuchungen mithilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) nachweisen.

Allerdings kann es uns auch passieren, dass wir mit unseren stereotypen Vorstellungen danebenliegen, Informationen in die falsche Schublade sortieren. Ein einfaches Beispiel des Wissenschaftlers: Hunde sind meistens freundliche Wesen. Wölfe sehen ganz ähnlich aus, können aber durchaus gefährlich werden. Wer das eine Tier vom anderen unter- scheiden kann und genau hinsieht, lebt sicherer.

Auch aus einem anderen Grund kann Schubladendenken negative Folgen haben: Wer Menschen kategorisiert, ist nahe am Vorurteil. Und aus starken Vorurteilen kann zum Beispiel Rassismus entstehen. „Vorurteile können für eine Gesellschaft gefährlich werden, denn aus falschen Annahmen und einfachen Urteilen erwachsen schnell Feindbilder“, sagt der Experte. Das ist besonders im digitalen Zeitalter zum Risiko geworden, in dem wir täglich mit unzähligen Informationen umgehen müssen. Sie lassen sich zum Teil nicht so leicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen, Stichwort „Fake News“ oder „alternative Fakten“. Hinzu kommt, dass der Algorithmus der Suchmaschinen und sozialen Medien – sozusagen die Handlungsanleitung des Computers – uns vor allem solche Informationen ausspuckt, die nahe an unserem Vorwissen und unseren Interessen sind. „Dadurch können Vorurteile noch verstärkt werden“, warnt Boris Suchan.

Zum Glück sind wir unseren Vorurteilen nicht hilflos ausgesetzt. Wie stark sie uns prägen, ist abhängig von unserem Elternhaus, unseren eigenen Erfahrungen, unserem Umfeld und unserer Offenheit für Neues. Im ersten Schritt kommt es darauf an, sich solcher Vorurteile bewusst zu werden, denn oftmals beeinflussen sie unser Handeln unbemerkt. „Viele Annahmen sind noch aus unserer Kindheit geprägt. Ich kann es mir einfach machen und sie für bare Münze nehmen oder sie als Erwachsener hinterfragen“, erklärt Boris Suchan. Dafür ist es nötig, sich auch mal aus der eigenen Komfortzone herauszubewegen und Neues zu wagen. Beispielsweise in Sachen Kulinarik: Indisches Essen ist mir zu scharf und schmeckt mir nicht? Es kommt auf einen Versuch an!

In jedem Fall bringt es viel, offen für neue Erfahrungen zu sein – auch im täglichen Miteinander. Vor allem der Kontakt mit Menschen spielt beim Abbau von Denkschubladen eine große Rolle – gerade mit Menschen anderer Nationalität oder sozialer Herkunft. „Wenn wir ins Gespräch kommen, merken wir, dass wir mit unserem Schwarz-Weiß-Denken nicht weiterkommen. Wer kulturelle Offenheit zeigt und das Kindern auch vorlebt, erlebt das fast immer als Bereicherung“, sagt der Professor. „Wer dagegen an seinem Schubladendenken festhält, bringt sich selbst um die Chance, neue Eindrücke und Erkenntnisse zu sammeln.“

Gut zu wissen, dass es in Nordrhein-Westfalen, speziell im Ruhrgebiet, beste Chancen gibt, neue kulturelle Erfahrungen zu machen: Seit mehr als 200 Jahren gilt die Region als einer der großen Melting Pots, der Schmelztiegel, Deutschlands. Und ein Schmelztiegel hat mit Schubladen nun wirklich nichts gemeinsam.

Text Jutta Oster

Cookie Einstellungen

Performance Cookies erfassen die Informationen über die Nutzungsweise einer Website durch den Besucher.

Anbieter:

Google

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google

Datenschutz

Datenschutzerklärung | Impressum