Juni 2024
BESSER ENTSCHEIDEN MIT HERZ UND VERSTAND
Wie es gelingen kann, eine kluge Wahl zu treffen
„Hätte, hätte, Fahrradkette.“ Das ist ein Satz, den der Politiker Peer Steinbrück bekannt gemacht hat. Und der immer wieder einmal aus der Floskelkiste gekramt wird, wenn es um verpasste Chancen und falsche Entscheidungen geht. Vielleicht ist die Redewendung nicht verstaubt und vergessen, weil wir sie alle kennen: die Weggabelungen, bei denen wir besser anders abgebogen wären, und die Gelegenheiten, bei denen wir nicht beherzt zugegriffen haben.
Jeder Mensch muss täglich rund 20.000 Entscheidungen treffen. Viele davon sind Routine, andere machen uns mehr zu schaffen, weil sie die großen Fragen des Lebens betreffen: Mit welchem Menschen möchte ich durchs Leben gehen? Welcher Beruf macht mich glücklich? Auf dem Land oder in der Stadt leben? Entscheidungen treffen zu dürfen ist einerseits ein Geschenk, weil wir die Freiheit der Wahl haben. Andererseits fordern sie uns heraus, nicht umsonst spricht der Volksmund von der Qual der Wahl.
Warum ist es so schwierig, Entscheidungen zu treffen? „Wir haben heute eine Vielzahl von Möglichkeiten. Unser Weg ist nicht mehr wie früher vorgezeichnet. Gleichzeitig haben viele aber noch die Erwartung, dass der Lebenslauf so geradlinig verlaufen muss wie der unserer Großeltern“, sagt Sören Stephan, Studienberater und Entscheidungsexperte an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen. Er leitet dort das Projekt „NEUSTART!“, ein Angebot für Studierende mit Studienzweifeln an den drei Hochschulstandorten Gelsenkirchen, Recklinghausen und Bocholt (www.w-hs.de/zweifel-am-studium). Hinzu kommt: Eine Entscheidung für einen Weg ist zugleich immer auch eine Absage an die Alternativen. Und das kann mit Unsicherheiten behaftet sein.
Dennoch ist es wichtig, Entscheidungen zu treffen. Doch wie kann es gelingen, eine gute Wahl zu treffen? Wichtig ist, Entscheidungen weder ewig aufzuschieben noch sie übereilt zu treffen. Wer hat bei diesem Prozess ein Wörtchen mitzureden? Kopf oder Herz? Beide, findet Sören Stephan. „Gute Entscheidungen sind solche, bei denen Verstand und Intuition im Einklang sind“, so der Experte. Oft gibt der Körper uns Signale, wenn das noch nicht der Fall ist, zum Beispiel durch einen Kloß im Hals oder schwitzige Hände. Für Menschen, die mit dem Kopf entscheiden, kann das bedeuten, stärker auf den eigenen Körper zu achten, um solche Signale wahrnehmen zu können. Für Gefühlsmenschen hingegen, die eher impulsiv entscheiden, kann es sinnvoll sein, sich bewusst mehr Zeit zu lassen.
Wichtig ist auch, nicht allzu viel Angst vor Entscheidungen zu haben. „Fast immer lassen sich Fehlentscheidungen noch korrigieren, fast immer haben wir die Chance, unseren Weg nachzujustieren“, sagt Sören Stephan. Das braucht nur den Mut, sich einzugestehen, dass eine Kurskorrektur notwendig ist. Damit am Ende niemand sagen muss: „Hätte, hätte, Fahrradkette.“
5 Techniken für mehr Entschlusskraft
Zurück in die Zukunft
Eine gute Hilfe bei Entscheidungen ist das 10-10-10-Modell, das US-Autorin Suzy Welch entwickelt hat. Bei dem Gedanken-Experiment reisen Sie in die Zukunft und fragen sich: Welche Auswirkungen hat meine Entscheidung in zehn Minuten (alternativ: zehn Wochen), zehn Monaten und zehn Jahren? Die Zeitreise weitet die Perspektive.
Kopf oder Zahl?
Einfach mal die Münze werfen – das kann bei einer Wahl sinnvoll sein, wie Studien der Universität Basel gezeigt haben. Sie sind dem Zufall dabei aber nicht blind ausgeliefert. Vielmehr kann das Ergebnis Ihnen helfen, Zugang zu Ihrer inneren Stimme zu finden. Hand aufs Herz: Sie hoffen insgeheim auf einen bestimmten Ausgang des Münzwurfs? Dann ist die Entscheidung längst gefallen
„WRAP“: Entscheiden mit System
Eine Technik für kluge Entschlüsse haben die US-Wissenschaftler und Brüder Chip und Dan Heath entwickelt. „WRAP“ heißt sie, ist nach den Anfangsbuchstaben ihrer vier Schritte benannt.
• Erweitern Sie Ihre Wahlmöglichkeiten! („Widen your options“): Vermutlich gibt es mehr als zwei Alternativen. Verschaffen Sie sich einen Überblick über alle Möglichkeiten.
• Überprüfen Sie Ihre Annahmen in puncto Realität! („Reality-test your assumptions“): Jetzt geht es an den Praxis-Check, indem Sie Informationen sammeln. Welche Alternativen halten der Wirklichkeit stand?
• Gewinnen Sie Abstand, bevor Sie sich entscheiden! („Attain distance before deciding“): Gute Entscheidungen brauchen Zeit, zum Beispiel indem Sie einige Nächte darüber schlafen, das Gespräch suchen oder sich bewusst ablenken, zum Beispiel durch Bewegung.
• Bereiten Sie sich darauf vor, falschzuliegen! („Prepare to be wrong“): Was könnte im schlimmsten Fall passieren? Sie sind besser gewappnet, wenn Sie das gedanklich durchspielen.
Ziemlich beste Freunde
Sie stecken fest in einer Gedankenschleife? Dann kann es helfen, das Gespräch mit anderen Menschen zu suchen, die ihre Sichtweise einbringen. Den objektiveren Blick haben oft Personen, die Ihnen nicht allzu nahestehen und die von der Entscheidung nicht unmittelbar betroffen sind – statt Familienmitglieder, Partnerin oder Partner also zum Beispiel Menschen aus dem Freundeskreis, dem Arbeitsumfeld oder der Nachbarschaft.
Weitblick per „Mindmapping“
Natürlich tut es auch die klassische Pro-und-Kontra-Liste, bei der Sie Ihre Argumente für und wider jeweils in einer Spalte aufschreiben. Gerade bei größeren Entscheidungen kann aber auch eine „Mindmap“ sinnvoll sein. Dafür nehmen Sie ein großes weißes Blatt Papier (DIN A3) und schreiben in die Mitte das Thema Ihrer Entscheidung. Von dort zweigen Stränge mit den möglichen Alternativen ab. Von diesen wiederum gehen weitere Verzweigungen mit den Argumenten für und wider weg. Die Dichte der Verzweigungen kann Aufschluss darüber geben, wie wichtig Ihnen die Argumente jeweils sind. So haben Sie alle Aspekte einer Entscheidung im Überblick.
„Her mit dem bunten Leben!“ heißt das Buch, das BENE-Autorin Jutta Oster kürzlich veröffentlicht hat (Verlag Herder, 14 Euro). Auf 128 Seiten gibt es praktische Tipps „Wie wir unserem Glück auf die Sprünge helfen“. Passend zum aktuellen BENE-Schwerpunkt lautet ein Kapitel: „Klüger entscheiden – mit Herz und Verstand“. Den Ratgeber im Taschenformat gibt’s hier fünfmal zu gewinnen. Versuchen Sie Ihr Glück per E-Mail an gewinnspiel1@bene-magazin.de oder per Post an Redaktion BENE, Zwölfling 16, 45127 Essen. Stichwort: Buntes Leben. Einsendeschluss ist der 1. August.
Text Jutta Oster