Bewusstsein

Umstritten – der Trend zur Selbstoptimierung

Angela Felix, Leiterin der Familienberatungsstelle der Caritas in Essen

21. März 2023

MEIN BESSERES ICH
Zwischen gesundem Lebensstil und übersteigerter „Selbstoptimierung“

Jochens Smartwatch meldet sich zuverlässig jeden Nachmittag. „Los, du Faulpelz, steh auf und beweg dich!“, scheint sie unerbittlich zu fordern. Und Jochen steht auf, bewegt sich ein paar Meter bis zum Fenster und setzt sich wieder auf seinen Bürostuhl. Immerhin, auf seine 10.000 Schritte täglich kommt er durch seinen Fußweg zur Arbeit. Technikfreaks wie Jochen gibt es viele. Längst gehören Fitness-Tracker, Apps und Smartwatches zu unserem Alltag. Diese Art von Selbstvermessung ist Ausdruck eines Trends, den man als Selbstoptimierung bezeichnet. Wir sollen fitter und schlanker werden – und auch ein bisschen glücklicher. Wir sollen uns gesünder ernähren und dem Altwerden trotzen. Wir sollen besser schlafen und uns mehr entspannen. Zur Selbstoptimierung gehören technische Anwendungen, aber auch Denk- und Verhaltensmuster, die uns über Werbung und soziale Medien vermittelt werden und die wir verinnerlichen. Extreme Formen sind leistungssteigernde Mittel oder Eingriffe der Schönheitschirurgie.

Trendforscher bezeichnen das 21. Jahrhundert als „Zeitalter der Selbstoptimierung“. Doch den Wunsch nach einem besseren Ich hat es immer schon gegeben. „Das Streben nach Verbesserung und das Vergleichen gehören einfach zum Menschsein“, sagt Angela Felix. Die Leiterin der Familienberatungsstelle der Caritas und des Sozialdienstes katholischer Frauen in Essen ist aber davon überzeugt, dass der Wunsch nach Selbstoptimierung durch den Leistungs- und Wettbewerbsdruck in unserer Gesellschaft noch verstärkt wird.

Laut Studie „Optimized Self Monitor 2019“ nutzt inzwischen mehr als die Hälfte der Deutschen eine Tracking-App oder ist zumindest daran interessiert. Das Vermessen des Selbst ist für viele Menschen reizvoll, weil es scheinbar Kontrolle über sich selbst gibt. Zahlen lügen nun mal nicht. Oder doch? „Zählen, Messen und Vergleichen – das gibt praktische Orientierung und kann auf der psychischen Ebene für Halt und Stabilität sorgen“, erklärt Benigna Gerisch von der Internationalen Psychoanalytischen Universität (IPU) Berlin. „Zugespitzt formuliert, kann exzessives Self-Tracking genauso wie selbstverletzendes Verhalten, Drogenkonsum oder eine Essstörung den Versuch darstellen, unbewusste Ängste, innere Konflikte, Leere oder depressive Gefühle in den Griff zu bekommen“, so die Professorin. Sie ist Projektleiterin der Studie „Das vermessene Leben“ und erforscht, wie sich das Sammeln von Körperdaten auf die Psyche auswirkt. Was macht es mit uns, wenn wir unser Körpergefühl vermessen?

Angela Felix sieht den Einsatz von Smartwatches und Fitness- Trackern nicht kritisch, sofern sie maßvoll eingesetzt werden und einem gesünderen Lebensstil dienen. „Apps geben uns eine sofortige Rückmeldung, wenn wir unser Ziel erreicht haben. Das aktiviert unser Belohnungssystem und spornt uns an.“ Problematisch wird es erst dann, wenn das rechte Maß verloren geht. Denn: Selbstoptimierung kennt keine Grenzen, wenn wir sie nicht selbst setzen. Gut ist nicht gut genug, es geht immer noch eine Spur besser.

Diese Tendenz birgt das Risiko, dass sich der Wunsch nach einer bestimmten Laufleistung oder einem anderen Ziel immer weiter steigert. Angela Felix spricht daher vom „Tunnelblick“, der sich einstellen kann, wenn das Leben nur noch auf ein Ziel ausgerichtet ist. Eine weitere Gefahr sieht sie darin, dass Menschen das eigene Gefühl für den Körper und seine Bedürfnisse verloren geht, wenn sie sich zu abhängig von den technischen Möglichkeiten machen. Die Expertin rät deshalb dazu, bewusst gegenzusteuern: indem man immer wieder innehält,
auf seine eigene Stimme hört und sich ehrlich fragt, ob der Körper wirklich ins Fitnessstudio will oder nicht doch lieber aufs Sofa möchte. Das ist für sie eine Art von Selbstfürsorge, die der Gegenspieler zu einer übersteigerten Selbstoptimierung sein kann.

„Selbstoptimierung kennt keine Grenzen, wenn wir sie nicht selbst setzen.“

Für ebenso wichtig hält Angela Felix es, eine Balance zu schaffen zwischen Zeiten, in denen man sich Leistungsziele setzt, und solchen, die eher spielerischen Charakter haben. „Wir brauchen dringend auch Raum, in dem andere Lebensanteile ihren Platz finden: Zeit, um sich mit anderen Menschen zu treffen, Zeit für Kreativität und Hobbys und Zeit, in der wir einfach nur sein dürfen.“ Gerade für Jugendliche, die noch auf der Suche nach ihrer Identität sind, kann der Druck durch genormte Körperbilder belastend sein. Solche Bilder werden durch soziale Medien wie Instagram weitergegeben. „Wenn ich mit Patientinnen rede, wird immer wieder deutlich, wie stark sie sich an digitalen Vorbildern und äußerlichen Werten orientieren“, sagte der Kinder- und Jugendpsychiater Gerd Schulte-Körne in einem Interview mit der „Zeit“. „Wie sehr gerade Mädchen sich optimieren wollen, um in sozialen Medien Anerkennung zu finden – das ist schon beängstigend“, warnte er. Für Jungen ist es zum Statussymbol geworden, Muskeln aufzubauen, weshalb immer mehr männliche Jugendliche immer früher ins Fitnessstudio gehen.

Typische Warnsignale für übersteigerte Selbstoptimierung sind zum Beispiel starke Erschöpfung, Unruhe oder sozialer Rückzug. Gerade in dieser Situation hält es Angela Felix für wichtig, mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Entscheidend ist aus ihrer Sicht auch, was die Eltern vorleben, wie sie mit Themen wie Gewicht oder Fitnesstrends umgehen. Manchmal, wenn Eltern der Druck auf ihr Kind zu hoch erscheint, kann auch ein Gespräch mit einer externen Beraterin oder einem externen Berater sinnvoll sein. Und vielleicht steht dann am Ende der Gedanke: Gut ist gut genug!

Wer Unterstützung braucht ...

Hilfe für alle Altersklassen bei dem Thema bieten zum Beispiel die örtlichen Familienberatungsstellen der Caritas. Anlaufstellen in allen Städten des Bistums Essen finden sich im Internet unter bene.mg/caritas-beratung

Text Jutta Oster

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