Lebenswege

Warten auf ein neues Organ: Familien berichten

Tim Geweiler ist begeisterter Modellflieger. Foto: privat

WARTEN AUF EIN WUNDER

Rund 2.000 Menschen aus Nordrhein-Westfalen brauchen dringend ein neues Organ

Sobald das Telefon klingelt, ist die Hoffnung groß. Die Hoffnung darauf, am anderen Ende des Apparates die Stimme einer Ärztin oder eines Arztes zu hören, die sagt: „Wir haben ein passendes Organ für Sie gefunden! Bitte kommen Sie in die Klinik.“ Rund 2.000 Menschen aus Nordrhein-Westfalen warten laut Angaben der deutschen Stiftung für Organtransplantation zurzeit auf einen solchen erlösenden Anruf. bundesweit brauchen knapp 10.000 Bürgerinnen und Bürger ein neues Herz, eine neue Leber oder eine neue Niere.

„Es gibt in Deutschland viel zu wenig Menschen, die einen Organspendeausweis besitzen“, sagt Bärbel Brünger, Pressesprecherin des Netzwerkes Organspende NRW. Der Verein, der seinen Hauptsitz in Bochum hat, setzt sich mit gezielten Informationen und Aktionen dafür ein, die Anzahl der Organspenden zu erhöhen: „Im letzten Jahr konnten nur knapp 40 Prozent der kranken Patientinnen und Patienten in NRW mit einem neuen Organ versorgt werden“, so Brünger. „Es ist unerträglich, zu sehen, dass Menschen sterben, obwohl ihnen geholfen werden könn- te. In unserem Bundesland gibt es mehrere Transplantationszentren, aber es kann nicht genügend transplantiert werden, weil die Organe fehlen.“ Am häufigsten werden Nieren benötigt, gefolgt von Herzen, Lebern, Bauchspeicheldrüsen und Lungen.

Auch Tim Geweiler aus der Nähe von Soest wartet auf ein neues Organ. Eine chronische Lebererkrankung führte bei ihm zu einer Zirrhose. Dabei wird das Lebergewebe zerstört und in funktionsloses Bindegewebe umgewandelt. Die Folgen: Der Körper kann Nährstoffe nicht mehr verwerten und das Blut nicht mehr entgiften. Es kommt zu Flüssigkeitsansammlungen im Bauchraum, Mangelernährung und Muskelabbau. Bei schweren Verläufen der Krankheit ist eine Transplantation notwendig.

Tims Mutter, Stefanie Geweiler, macht sich große Sorgen um ihren Sohn: „Es geht ihm leider immer schlechter“, berichtet sie mit schmerzerfüllter Stimme. Seit Dezember wird der 15-Jährige mithilfe einer Magensonde ernährt. Über einen Schlauch, der in seinen Magen führt, erhält er Nahrung und Flüssigkeit.

Seit einem Jahr steht Tim Geweiler auf der Warteliste von Eurotransplant. Die gemeinnützige Stiftung ist in acht europäischen Ländern verantwortlich für die Zuteilung von Spenderorganen. Bei der Vergabe der Organe spielen die Schwere der Erkrankung, die Erfolgsaussicht der Transplantation und die bisherige Wartezeit eine Rolle.

„Wir müssen 24 Stunden am Tag erreichbar sein. Sobald es eine passende Leber für meinen Sohn gibt, müssen wir sofort in die Universitäsklinik in Essen fahren, in der Tim behandelt wird“, schildert Stefanie Geweiler die anstrengende Situation. Die Telefonnummer der Klinik hat sie mit einem speziellen Ton in ihrem Handy eingespeichert, den sie sofort erkennt. Er klingt wie eine Sirene.

Im Moment sitzt Tim Geweiler im Rollstuhl. Er ist zu schwach, um selbst zu laufen. „Der Rollstuhl entlastet mich zwar ein wenig, aber er schränkt mich auch ein“, sagt der Zehntklässler tapfer. Immerhin kann er seine große Leidenschaft, das Modellfliegen, auch im Sitzen ausüben. „Mit der Fernsteuerung kann ich das Flugzeug so lenken, wie ich möchte“, freut er sich.

Sein größter Wunsch ist es, endlich wieder ein möglichst normales Leben zu führen: ohne Schmerzen laufen, den Schulabschluss machen, eine Ausbildung beginnen.

Der dramatische Mangel an Spenderorganen macht auch der Politik Sorgen. Deshalb gibt es seit März ein Gesetz, das Menschen die Entscheidung für eine Organspende erleichtern soll. Künftig soll man bei der Beantragung eines Passes oder Personalausweises seine Spendebereitschaft in ein Online-Register eintragen können. Hausärzte und Hausärztinnen sollen alle zwei Jahre über das Thema informieren. Und im Vorfeld von Führerscheinprüfungen soll ebenfalls darüber gesprochen werden.

„Genauso wie man sich um einTestament oder eine Betreuungsvollmacht kümmert, kann man sich doch auch überlegen, ob man nach seinem Tod seine Organe spenden möchte oder nicht“, schlägt Bärbel Brünger eine weitere Maßnahme vor. Laut einer bundesweiten Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stehen über 80 Prozent der Deutschen einer Organspende grundsätzlich positiv gegenüber – allerdings hat nur gut die Hälfte einen entsprechenden Ausweis.

Auch Karen und Christian Töllner aus Duisburg hatten sich bis vor anderthalb Jahren kaum mit dem belastenden Thema befasst. Erst als bei ihrem damals sieben Wochen alten Sohn Jonas ein schwerer Leberfehler festgestellt wurde, mussten sie sich mit der Organspende auseinan- dersetzen. Die rettende Leber erhielt Jonas von seinem Vater – als Lebendspende. Bei dieser Form der Organweitergabe wird dem Erwachsenen ein Teil der Leber entnommen und beim Säugling oder Kleinkind eingepflanzt. Mit dem Wachstum des Kindes wächst auch die neue Leber, sodass das Transplantat normalerweise langfristig gut funktioniert. Auch bei dem Spender oder der Spenderin wächst das Organ nahezu komplett nach.

Christian Töllner hat seinem Sohn das Leben gerettet, doch das hört er nicht gern. „Für mich war es selbstverständlich“, stellt der dreifache Vater klar. Er habe sich nach der Operation zwar schwach und antriebslos gefühlt. Inzwischen sei er aber wieder völlig gesund. Jonas muss wohl für immer starke Medikamente nehmen. „Ich bin froh, dass es ihm im Moment gut geht“, sagt Karen Töllner. Die Erzieherin versucht, nicht mehr so oft an die schweren Zeiten zu denken, in denen sie nicht wusste, ob ihr Sohn überleben würde.

Heute, ein Jahr nach der Operation, ist sie mit Jonas für eine Kontrolluntersuchung im Krankenhaus. Der Kleine sitzt im Kinderwagen und verteilt fröhlich Salzbrezel. Karen Töllner beschreibt ihn als sehr sozialen, freundlichen Jungen, der gern lacht: „Ich wünsche ihm, dass er ein langes Leben vor sich hat.“

Text Kathrin Brüggemann

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