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Zwischen Essen und Tel Aviv: Schulfreundschaft

Schülerinnen und Schüler aus Israel zu Besuch in Essen. Hier besichtigen sie den Essener Dom, Foto Nicole Cronauge

März 2024

SO FERN UND DOCH SO NAH

Eine Schulfreundschaft in Zeiten des Krieges

Gut 3.000 Kilometer liegen zwischen ihnen. Trotz der Distanz sind sich Jugendliche der Bischöflichen Sekundarschule am Stoppenberg in Essen und ihrer Partnerschule in Tel Aviv nahegekommen. Im Oktober vergangenen Jahres wollte eine Gruppe aus Deutschland eigentlich zu einem Besuch nach Israel aufbrechen. Doch der Angriffskrieg der Hamas hat alle Pläne zunichtegemacht. Dennoch ist der Austausch intensiv, auch wenn er im Moment nur über digitale Kanäle möglich ist.

Es sind nur ein paar Ziegelsteine, aufgeschichtet zu einer kleinen Mauer in der Kapelle der Schule. Doch für die Schülerinnen und Schüler der Bischöflichen Sekundarschule am Stoppenberg in Essen bedeuten sie viel mehr. Die Jugendlichen haben kleine Zettel mit Bitten und Wünschen in die Ritzen geschoben – nach dem Vorbild der Jerusalemer Klagemauer. Und sie haben nach jüdischer Tradition Kieselsteine auf die Mauer gelegt, beschriftet mit Begriffen wie „Peace“ („Frieden“) und „Sicherheit“ oder der Bitte „Lass den Krieg schnell enden“. Nein, es war klar, dass man nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel im Oktober vergangenen Jahres nicht einfach so zum Schulbetrieb nach den Herbstferien übergehen konnte – erst recht nicht, nachdem die deutschen Schülerinnen und Schüler in Israel viele neue Freunde gefunden haben. Sie wollten zumindest ihre Solidarität bekunden.

Für die Jugendlichen der neunten und zehnten Klassen war der Angriff nicht nur eine Nachricht in den Medien. Er bedeutete auch das Aus für ihre Reise nach Israel, der sie so lange entgegengefiebert und für die sie gespart hatten. Im Rahmen eines neuen Schulaustausches mit der ORT-Singalovski-Schule in Essens Partnerstadt Tel Aviv wollten die Jugendlichen im Oktober 2023 in die Stadt am Mittelmeer reisen. Das sollte der Gegenbesuch sein, nachdem zehn israelische Schülerinnen und Schüler im Frühling des Jahres zu Gast in Essen gewesen waren und das Ruhrgebiet kennengelernt hatten. Ob und wann der Gegenbesuch nun stattfinden kann, ist angesichts des Krieges in Israel unklar. Fest steht aber, dass die Zusammenarbeit zwischen den beiden Schulen in Essen und Tel Aviv fortbestehen soll. Im Moment findet der Austausch ausschließlich digital statt, ist deshalb aber nicht weniger intensiv.

Denn die Kooperation ist der Schule ausgesprochen wichtig. „Wir möchten, dass unsere Schülerinnen und Schüler jüdisches Alltagsleben erfahren und kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede kennenlernen“, sagt Lehrerin Silke Osmerg. Zusammen mit ihrem Kollegen Raphael Dornebusch hat sie die Idee einer Schulfreundschaft während eines Plauschs am Rande einer Konferenz der Lehrkräfte 2018 entwickelt. Die Idee stieß auf großes Interesse an der Sekundarschule – und die lange Suche begann. Über die Schulabteilung der Essener Partnerstadt Tel Aviv konnte eine Schule vermittelt werden, doch die Corona-Pandemie verzögerte das Kennenlernen, bis eine Lehrkräfte-Delegation im Jahr 2022 endlich reisen konnte und den Kooperationsvertrag unterschrieb.

Im Mai 2023 war es dann für die israelischen Schülerinnen und Schüler so weit. Bei ihrem Besuch in Deutschland erkundeten sie die Welt unter Tage im Bergbau-Museum Bochum, entdeckten den Essener Dom und waren im Rathaus bei Bürgermeisterin Julia Jacob zu Gast. Aber auch Shoppen und Partys standen in der Woche auf dem Programm. Klar gab es auch Unsicherheiten: Würde das Schul-Englisch ausreichen, um sich unterhalten zu können? Welche Regeln muss man beim koscheren Essen einhalten? Und gibt es sonst noch Fettnäpfchen, in die man treten kann? Aber die Jugendlichen wuchsen viel schneller als gedacht zusammen, auch weil sie sich schon vorher über WhatsApp und andere Kanäle ausgetauscht hatten.

„Von der ersten Minute an war der Kontakt da“, erzählt Silke Osmerg. „Und als sich alle nach einer guten Woche verabschieden mussten, sind ganz schön viele Tränen geflossen.“ Für die 16-jährige Aimee hat es sich bald angefühlt, als wäre ihre Gastschülerin schon Teil der Familie. „Nach drei Brüdern habe ich endlich eine Schwester bekommen.“ Ebenso gab es aber auch Grund zum Staunen, zum Beispiel für den 14-jährigen Alex. Für ihn war es überraschend, dass einige Israelis wegen ihres starken jüdischen Glaubens den Essener Dom nicht betreten wollten. Da wartete er einfach mit ihnen draußen, und auch Weihbischof Wilhelm Zimmermann gesellte sich zu ihnen.

Auch die 13 deutschen Schülerinnen und Schüler haben sich auf ihren Besuch in Israel gut vorbereitet, haben sich mit der jüdischen Geschichte beschäftigt, gelernt, wie man sich in einer Synagoge verhält oder koscher kocht. Doch neun Tage vor dem geplanten Reisetermin im Oktober 2023 machte der Angriff der Hamas alle Pläne zunichte. Wie ernst die Lage war, wurde spätestens klar, als der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in einer Videobotschaft sagte: „Wir sind im Krieg.“

Bei der Essener Schule hat das Entsetzen und Betroffenheit geweckt, aber auch das Gefühl, noch mal Glück im Unglück gehabt zu haben, nicht in ein Land im Kriegszustand geraten zu sein. Die Sorge um die Schülerinnen und Schüler und das Kollegium in Tel Aviv war und ist groß. „Niemand ist verletzt, getötet oder als Geisel genommen worden, aber jeder kennt einen Menschen, der direkt betroffen ist“, sagt Lehrer Raphael Dornebusch. Der Kontakt mit der Partnerschule läuft auf digitalem Wege weiter und soll durch ein Online-Austausch-Projekt, über das die Schule gerade nachdenkt, noch weiter gestärkt werden.

Auch unter den Jugendlichen ist der Austausch weiterhin intensiv. Die 14-jährige Lee-Ann hält Kontakt zur ihren Gastschülerinnen. So bekommt sie auch mit, wenn es wieder Raketenalarm gibt oder Raketen auf Tel Aviv abgefeuert wurden. Oft hat sie geweint und sich Sorgen gemacht. Ihre Mutter hat inzwischen eine Nachrichtensperre verhängt, damit die Tochter nicht zu belastet von den Bildern im Nahen Osten ist. Immer wieder zeigen die Neuntklässler, wie sehr sie mitfühlen, etwa als sie die Botschaften „Frieden“ und „Wir denken an euch“ in großen Buchstaben in die Kamera gehalten haben. „Vielleicht verbindet es noch mehr, zusammen zu weinen als zusammen zu lachen“, vermutet die Lehrerin Angelika Weyerhorst.

Text Jutta Oster

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