Wehe, Ihr lacht!

BENE: Sie sind Deutschlands einziger professioneller behinderter Komiker. Jeder PR-Berater würde jubeln: Alleinstellungsmerkmal! Wie geht es Ihnen mit dieser Klassifizierung?

Fromme: Ja, das stimmt. Behinderte Akteure gibt es im schauspielerischen und im
musikalischen Bereich, aber eben nicht im humoristischen. Ich bin der einzige Hauptberufliche. Das ist sehr schade, denn ich kann mich eigentlich mit niemandem messen. Wenn es mehr von uns gäbe, hätte man auch keine Schwierigkeiten mehr mit dem Tabu Behinderung und Bühne, Behinderung und Humor, Behinderung überhaupt.

BENE: Inzwischen stehen Sie schon seit 30 Jahren auf der Bühne. Hat sich im Umgang mit Behinderten in diesen 30 Jahren etwas verändert?

Fromme: Bei mir persönlich hat sich der Umgang nicht verändert. Ich war schon
immer sehr offen mit meiner Behinderung. Natürlich haben Leute auf mich auch komisch reagiert. Aber nach ein paar Sätzen haben die gemerkt: Oh, der ist ganz locker, dann kann ich auch ganz locker und normal sein! Beim Umgang mit Behinderungen selbst bewegt sich nicht so viel, wie sich Behinderte das wünschen würden. Wir reden jetzt von Inklusion, von Menschen mit Behinderung oder Menschen mit speziellen Fähigkeiten. Aber das ist für mich erst mal Sprachkosmetik.


BENE: Es ist also ein weiter Weg ...


Fromme: Es ist nicht nur ein weiter Weg. Ich weiß nicht einmal, ob ich eine inklusive
Gesellschaft noch erleben werde. Ein Grund ist sicher, dass wir keine Lobby haben.
Es liegt aber vielleicht auch an der großen Lethargie der Behinderten, die einfach
nicht verstehen, dass man sich regen muss, dass man sich gegen Dinge auflehnen
muss – sehr aktiv und laut – damit man gehört wird. Wir sind die größte Minderheit
in Deutschland, immerhin 10,2 Millionen Leute. Wir sind die größte Randgruppe
der Welt, aber in der Wahrnehmung sind wir die kleinste. Wo ist die Community?
Wir müssen langsam mal merken, dass man Stars machen muss. Das muss
nicht ich sein. Aber wir müssen Druck machen, uns engagieren.


BENE: So wie Sie das tun mit Ihrem Motto „Besser Arm ab als arm dran“. Sie brechen Tabus und thematisieren mit bitterbösem Humor Ihre Behinderung. Sie bekommen Applaus und Lacher. Wäre nicht auch Mitleid angebracht?


Fromme: Nein, Mitleid sowieso nicht, höchstens Mitgefühl. Wir rennen ja nicht
den ganzen Tag weinend durch die Gegend. Auch wenn man sich natürlich wünscht, keine Behinderung zu haben. Wobei, wenn ich keine hätte, wäre ja mein Job weg ...


BENE: In welchen Lebensbereichen sind Sie, abgesehen von der motorischen Einschränkung durch den fehlenden Unterarm, konkret gehandicapt?


Fromme: Ganz sicher in der Chancengleichheit in meinem Beruf als Komiker
und Darsteller – als verhinderter Schauspieler. Man wird zum Beispiel nicht eingeladen
zu bestimmten Anlässen, weil die Leute bei Humor und Behinderung Berührungsängste haben. Vorherrschende Meinung ist: Man darf über Behinderte keine Witze machen. Das geht ja über Grenzen, an diese Art von Humor müssen sich die Leute erst mal gewöhnen.


BENE: Sie sind von Geburt an behindert. Wie wurde Ihnen klar, dass Ihre Behinderung ein Thema für die Öffentlichkeit ist?


Fromme: Ich bin schon inklusiv aufgewachsen. Der fehlende Arm war im Kindergarten eine Stunde lang interessant, dann wurde Fußball gespielt. Da gab’s keine Befangenheit. Ich bin in eine ganz normale Schule gegangen und habe dann viel ausprobiert, habe Plattenläden gehabt, bei der Zeitung und in einer Werbeagentur gearbeitet, eine kaufmännische Ausbildung gemacht, studiert und nebenbei lief das
Kabarett. Irgendwann musste ich mich entscheiden: 8-Stunden-Job oder 12-Stunden-Job. Ich hab’ letzteren gewählt, sicher auch, weil das meine Berufung ist. Was ich gemacht habe und bis heute mache, war immer ich. Ich habe mich da keinem Mainstream oder Markt angepasst. Dann kamen die Anfragen von Leuten aus Verbänden und der Behinderten-Community: „Bring das doch thematisch mal richtig auf die Bühne!“ Mir war klar, ich kann auch vollkommen scheitern damit. Der Abend
kann wie Guantanamo werden.

BENE: Wie würden Sie Ihre Auftritte und Programme beschreiben? Was ist Ihnen wichtig, was sollen die Leute mitnehmen?

Fromme: Ich bin selbstbewusst und sarkastisch. Das ist nicht die Rolle, in der Behinderte in der Gesellschaft wahrgenommen werden. Das Publikum bekommt von mir ne Haltung und Meinung – mit einer Portion relativ hartem, schwarzem Humor.
So, dass man es nicht vergisst. Das ist mein Anspruch. Ich bin nicht der Witzeonkel.
Aber es soll auch mitnehmen, dass alles nicht so schwer ist. Berührungsängste abbauen. Sich mal ne Stunde auf diesen Arm einsehen, so nenne ich das. Sonst ist es ja nicht erlaubt, Behinderte anzuschauen, das macht man ja eher flüchtig. Ich will
den Leuten einfach damit sagen: Wir sind normal, so wie ihr auch. Wir sind alle Menschen.

BENE: Warum haben die Menschen Berührungsängste?Sie wissen doch, auf
was sie sich einlassen, wenn sie ein Martin-Fromme-Ticket kaufen ...

Fromme: Ja, aber live ist das nochmal was anderes. Die Leute sind dann doch geschockt, wenn sie mich anschauen, wenn ich über meine Behinderung Witze mache. Manchmal trauen sie sich einfach nicht zu lachen. Dann blicken sie sich fragend um: Mache ich etwas falsch, wenn ich jetzt lache? Lacht da überhaupt jemand? Ich kann da jegliche Reaktion verstehen. Aber ich sage ganz klar: Ja, Ihr dürft lachen! Wer das nicht lustig findet und nicht darüber
lachen möchte, sollte besser gehen. Da habe ich vollstes Verständnis. Ich finde ja auch nicht alle Dinge, die ich in Deutschland sehe, komisch.

BENE: Sie nennen Ihre Shows auch gerne „Fronttheater“. Inwieweit hat Ihnen Ihre Herkunft Wanne-Eickel geholfen, die Dinge klar zu benennen?

Fromme: Das Ruhrgebiet ist ne sehr direkte und offene Geschichte. Die Art des Humors ist noch direkter als woanders, man kann es vielleicht mit Berlin vergleichen.
Das Ruhrgebiet hat ja auch viele sehr spezielle Humoristen hervorgebracht, man
denke nur an Helge Schneider.

BENE: Eines Ihrer Projekte ist das Internet-Format „Frommedy“ mit der „Aktion Mensch“. Gibt es da eine Fortsetzung?

Fromme: Das war eine einmalige Geschichte. Sechs Folgen à vier Minuten. Da
wurden Nichtbehinderte in ganz absurde Situationen geführt – mit versteckter Kamera. Die Reaktionen waren zu 95 Prozent positiv. Ich habe jetzt noch jede Menge Anfragen von Leuten, die in dem Format mitspielen würden. Aber dazu brauchen wir natürlich neue Auftrag- und Geldgeber.

BENE: In der Sendung „Selbstbestimmt“ im MDR machen Sie ebenfalls Ihre Behinderung zum Thema.

Fromme: Es sind kleine humoristische Geschichten, mal spiele ich den inklusiven Frisör, dann suche ich im Zoo nach Tieren mit Behinderungen. Wir haben auch in einer
Tanzschule gedreht: Tanzen mit Behinderung, geht das und wer führt denn da?
Ich habe mich auch angeboten, Leuten auf der Straße die Taschen zu tragen. Es geht
interaktiv zu, wir wollen ja Reaktionen hervorrufen. Bei der Taschen-Geschichte sind
allerdings auch manche Leute weggelaufen

BENE: Sie sind ein sehr politischer Mensch. Was also ist mit politischem Kabarett? Beispielsweise „Die Anstalt“. Das würde ja auch vom Titel gut passen?

Fromme: Ja, sofort! Leider kriege ich da nie ne Anfrage! Grundsätzlich verhindert
Fernsehen ja eher die inklusive Gesellschaft. Viele Showmaster haben Angst vor
mir, weil sie befürchten, sie könnten aus Versehen etwas Diskriminierendes, beispielsweise „Behinderter“, sagen und einen Shitstorm ernten. Dabei finde ich das Wort „Mensch mit Behinderung“ viel diskriminierender. Wir sind ja zuerst einmal
Menschen, mit Eigenschaften. Ich sage ja auch nicht „Mensch mit Brille“ zu einem
Brillenträger.

BENE: Nicht-Behinderte dürfen über Behindertenwitze lachen, aber dürfen sie
auch welche machen?


Fromme: Natürlich. Das ist jedem selbst überlassen. Aber der Witz muss natürlich
gut sein!

BENE: Wie sehen Sie die Zukunft von Behinderten
in unserem Land?

Fromme: Ich denke, auch von den Verbänden muss da noch viel mehr kommen. Die
Themen müssen politisch besser gesetzt werden. Tja, und unsere Zukunft? Leute,
die mit Behinderung geboren werden, wird es irgendwann nicht mehr geben. Um
es klar zu sagen: Wir sind die aussterbende Rasse, unterliegen dem gesellschaftlichen
Optimierungswahn. In manchen Ländern werden heute ja schon keine Kinder mit
Down-Syndrom mehr geboren. Und natürlich muss man auch die politische Entwicklung mit Sorge betrachten: die Diskriminierungen, der vollkommen unzureichende Entwurf zum Bundesteilhabegesetz, dieser latente Rechtsruck, das Dreckspamphlet der AfD. Ich glaube aber, dass die Leute in Deutschland stark genug sind und dass sie sehen, dass diese Partei liederlich ist.

BENE: Haben Sie Gott schon mal verflucht, weil er Sie einarmig auf die Welt
geschickt hat?

Fromme: Ich kann ihm keine Schuld geben, weil ich gar nicht weiß, ob es ihn gibt. Also, ich bin so geboren worden – da gibt’s keineSchuld. Es ist eine Laune der Natur. Vielleicht ist es ja auch der Sinn des Lebens, den ich habe: Komiker zu werden und die Leute auf diesem Weg mitzunehmen.

BENE: Sind Sie ein gläubiger Mensch?

Fromme: Solange der Glaube nicht instrumentalisiert wird, sondern der inneren Einkehr dient, ist er positiv und fantastisch. Aber was gerade jetzt im Namen von Religion auf der Welt passiert, ist grausam! Meine Eltern waren sehr katholisch. Der
Besuch der Kirche sagt mir persönlich nicht viel. Aber der neue Papst ist relativ spitze
im Vergleich zu den anderen. Und ich fände toll, wenn es Gott geben würde. Wenn
es diesen Lebensentwurf nach dem Leben – also den Nachlebensentwurf – geben
würde! Das hieße ja, dass ich meine Eltern wiedersähe. Erst mal stellt sich für mich
aber die Frage: Was macht den Menschen aus? Mitgefühl, Empathie, Moral, Werte,
die wir als Mensch vertreten, die sind ganz wichtig. Wenn ich die vertrete, habe ich
vielleicht auch Gott in mir.


Das Gespräch führte Jutta Laege

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