Bestimmung

Noch einmal ans Meer

Es ist einer dieser Momente, die Gänsehaut machen, Tränen in die Augen treiben, die so unendlich traurig sind und doch so berührend schön zugleich: Ein frühlingsfrischer Apriltag in Domburg im holländischen Zeeland. Die 45-jährige Simone sitzt am Strand, in einem Rollstuhl. Es wird wohl das letzte Mal sein, dass sie das Meer sehen, das Meersalz riechen, die Meeresbrise auf ihrer Haut spüren kann. Die junge Mutter ist unheilbar an Krebs erkrankt. Obwohl sie normalerweise nur noch mit dem Rollstuhl fortbewegt werden kann, nur noch schwer Luft bekommt, weckt dieser Tag am Meer ihre Lebensgeister. Mit dem „Wünschewagen“ des Arbeiter-Samariter-Bundes Ruhr e.V. ist die Mutter gemeinsam mit ihrem 14-jährigen Sohn und ihrer besten Freundin ans Meer gelangt. Es ist ihr letzter Wunsch. Und genau dafür steht das Team des Wünschewagens bereit. „Wir haben unseren Augen kaum getraut“, erzählen die Begleiter der kleinen Reise später. „Diese schwerstkranke Frau machte sich sogar den Spaß und schob ihren Sohn im Rollstuhl durch den Sand! Das hätten wir nicht für möglich gehalten.“ Die Erfüllung ihres letzten Wunsches setzte noch einmal alle Kräfte frei. Und so ist es wohl: „Es sind die kleinen Dinge im Leben, die die Menschen glücklich machen. Für eine kurze Zeit konnte diese Familie und Freunde alle Sorgen vergessen und den Augenblick genießen. Vielen Dank an alle, die das ermöglicht haben“, kommentierte jemand später bei Facebook, wo die Aktion beschrieben war. Und ein anderer lobte: „Ihr seid wundervolle Menschen!“

Fotos: Arbeiter- und Samariter-Bund Ruhr e.V.

Die, die das möglich gemacht haben, werden von solchen Begegnungen und Erlebnissen auch ganz ergriffen. Aber das genau ist ihr Antrieb. Die Wunschfahrten werden von geschulten Ehrenamtlichen durchgeführt. Mittlerweile arbeiten 135 freiwillige Helfer für das Projekt. Die meisten kommen aus dem medizinisch-pflegerischen Bereich. Die Organisation der Wünsche übernehmen hauptamtliche Mitarbeiter des Projektes. Wenn Menschen ihr letzter Wunsch erfüllt werden soll, muss vieles schnell und präszise zusammenlaufen. „Ich plädiere dafür, dass es auch ruhig der vorletzte Wunsch sein kann. Wenn jemand schwer krank ist, sollte man nicht zu lange warten“, sagt Ralph Steiner, Optikermeister aus Essen, Vorstandsmitglied beim ASB Ruhr und Initiator der „Wünschewagen“- Idee. Er hatte 2011 in Tel Aviv erstmals einen solchen Krankenwagen gesehen. „Wish Ambulance“ stand darauf. Steiner war elektrisiert, forschte nach, fand ähnliche Projekte in Holland und beschloss: „Das müssen wir auch machen!“

Der Wünschewagen des ASB Ruhr ist ein hochwertig und mit viel Liebe zum Detail ausgestatteter Krankentransporter, der seit gut einem Jahr unentwegt im Einsatz ist. Für die Fahrt mit dem Wünschewagen entstehen dem Fahrgast keine Kosten. Rund 100 Wünsche wurden seither weit über die Grenzen des Ruhrgebietes erfüllt. Und das Beispiel macht Schule. Schon im nächsten Jahr werden in einigen weiteren Bundesländern Wünschewagen auf den Straßen rollen. Schleswig-Holstein ging schon im Dezember an den Start.

Das Thema „Familie“ steht bei den meisten Schwerkranken ganz oben auf der Liste. Der an ALS erkrankte Günther aus Isselburg wird Hunderte Kilometer im Wünschewagen transportiert, um an der Hochzeit seiner Tochter in Münster teilnehmen zu können. „Das war ein so intensiver Tag“, erinnert sich die ehrenamtliche Helferin Edeltraud Müller, „da gehört man ja dann zur Familie dazu!“

Ein anderer Fahrgast – das Wort Patient ist beim Wünschewagen-Team verpönt – kann zur Kommunion seiner Enkelin nach Düsseldorf gebracht werden. Die 87-jährige Ingeborg möchte noch einmal in ihre alte Wohnung und zum Grab ihres Mannes, um sich in Ruhe zu verabschieden. Auch Fußball steht hoch im Kurs: Der 72-jährige Helmut aus Essen darf noch einmal in den Borussia-Park Mönchengladbach, trifft dort seine Lieblingsspieler Christoph Cramer (inzwischen in Leverkusen) und Patrick Hermann. Ricarda, glühender Fan von Sascha, kommt dank Wünschewagen noch einmal zu einem Konzert ihres Lieblingssängers nach Köln. „Bisher haben wir jeden Wunsch realisieren können“, freut sich Steiner. Natürlich immer in enger Abstimmung mit den behandelnden Ärzten. „Wir müssen sicher sein, dass die Kranken transportfähig sind.“

Um alle organisatorischen und pflegerischen Fragen kümmert sich Nazan Aynur mit ihrem Team. „Wir sind keine Trauergesellschaft“, betont sie. „Wir helfen mit, einen anderen Umgang mit dem Tod zu üben.“ Immer wieder gibt es Schulungen für Ehrenamtliche, Spendenaktionen, Informationsveranstaltungen. Oft springt der Wünschewagen auch ein, weil an anderer Stelle keine Transportgelder zur Verfügung stehen. Der Fall eines todkranken Mannes aus Baden-Württemberg ist Nazan Aynur noch in Erinnerung. „Die Tochter hatte einen Hospizplatz in Oberhausen bekommen. Doch die Krankenkasse wollte den Transport nicht übernehmen.“

Das Wünschewagen-Team brachte den Vater ins Ruhrgebiet – mit einem unglaublichen Zwischenstopp. „Während der Fahrt fing der Mann wieder an zu sprechen, was er eigentlich nicht mehr konnte, und äußerte den Wunsch, an der nächsten Raststätte eine Bockwurst zu essen“, berichtet Aynur. Ein kleines Wunder. Die Geschichte endet traurig und tröstlich zugleich. Am späten Abend kommt der Mann im Hospiz an, sein letzter Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Er stirbt einen Tag später.

>> Nichts auf der Welt ist so kraftvoll wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. <<
Victor Hugo

„Wünsche wagen mit dem Wünschewagen“

Arbeiter-Samariter-Bund Regionalverband Ruhr e.V.,
Richterstraße 20-22, 45143 Essen,
Telefon: 0201 870010
E-Mail: wuenschewagen@asb-ruhr.info

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