Ein schwieriges Jahr geht zu Ende. Es begann mit dem furchtbaren Anschlag auf „Charlie Hebdo“ und endete mit den Massaker von Paris. Dazu kommen unzählige globale Konflikte, kaum kontrollierbare Flüchtlingsströme und ein uneiniges Europa. Ein Gespräch mit dem Essener Bischof Franz-Josef-Overbeck über die Anstrengungen des ablaufenden Jahres und die Herausforderungen an unsere Gesellschaft und die Kirche im Ruhrbistum.
BENE: Wie haben Sie dieses Jahr erlebt?
Overbeck: Es war ein ausgesprochen konfliktreiches Jahr, die gesamte politische Architektur verändert sich. Diese Veränderungsprozesse sind radikal, sie betreffen nicht nur die Weiterentwicklung der Europäischen Union, die sichtbar notwendig ist, sondern auch die vielfach gewalttätigen Konflikte im Mittleren Osten und Afghanistan, sowie in Afrika, Indien und Südostasien. Wenn man alles zusammennimmt, kann man wohl von rund zwei Milliarden Menschen sprechen, die künftig aufgrund all dieser Konflikte extremen Veränderungsprozessen unterworfen sind. Die Flüchtlingsströme sind das einschneidendste Ereignis dieses Jahres. Gleiches gilt für die Pariser Anschläge vom 13. November 2015.
BENE: Der Bundestag hat der Beteiligung der Bundeswehr im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) in Syrien und im Irak zugestimmt. Welche Haltung haben Sie als Militärbischof zu dem Einsatz?
Overbeck: Die Anwendung militärischer Gewalt darf nur als Ultima Ratio, als letztes Mittel in Betracht gezogen werden und bedarf einer begründeten Aussicht auf Erfolg. Es muss oberstes Ziel bleiben, auf allen politischen, militärischen und gesellschaftlichen Ebenen darauf hinzuwirken, dass sowohl der militärische Einsatz als auch die Gewaltbereitschaft aller Parteien schnellstmöglich ein Ende finden.
BENE: Wie bewerten Sie die Sorgen, die sich Menschen angesichts der weltweiten Probleme und der Flüchtlingsfragen machen?
Overbeck: Überall, wo Menschen Sicherheit verlieren, egal welcher Art, werden sie ängstlicher. Das gilt für alle Lebensbereiche und auch beim Thema Flüchtlinge. Wenn in einer solchen Intensität Menschen zu uns kommen, aus sichtbar anderen kulturellen Traditionen, Zusammenhängen, mit anderen Sprachen und an deren Religionen, dann ist das ein ganz große Herausforderung für die Gesellschaft, in der wir leben, die sich seit der Wiedervereinigung, so ist mein Eindruck, gut eingerichtet hatte. Unsere gewohnten Gesellschaftsformationen werden sich neu durchmischen. Wir lernen gerade durch die Folgen der Digitalisierung, was Globalisierung auch ist: nicht nur nettes Zappen durch die Weltgeschichte, sondern wirkliches Aufnehmen derer, die zur Weltgeschichte gehören. Ich habe in der Weihnachtspredigt im vergangenen Jahr gesagt: Das Boot ist noch lange nicht voll. Der vielfache Protest, der mich daraufhin erreichte, hat mich nicht überrascht und auch nicht erschüttert. Ich gehöre zu denen, die die Bedenken sehen und die Ängste ernst nehmen, aber ich bin überhaupt kein Bedenkenträger und auch nicht ängstlich und furchtsam.
BENE: Wenn Sie die Bilder von flüchtenden Menschen sehen, wenn Sie mit Flüchtlingen Kontakt haben: Was macht das mit Ihnen als Mensch?
Overbeck: Ich denke immer an die Heimatlosigkeit dieser Menschen, ihre Not, von zuhause weggehen zu müssen, um unversehrt und am Leben zu bleiben. Das berührt mich sehr und zeigt mir, dass wir aufnahmebereit bleiben müssen.