Bekenntnisse

Demokratie braucht Fanmeilen, oder?

Karl-Rudolf Korte

Foto: Karl-Rudolf Korte

Demokratie braucht Fanmeilen, sagt der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen. Einem breiten Publikum ist er als Wahlexperte vor allem im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bekannt. Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit sind die Untersuchungen von Zusammenhängen zwischen Parteistrategien, Medien und Wählerverhalten. BENE sprach mit ihm über politische Kultur, Fake News und die Herausforderungen im Wahljahr 2017. Sein Plädoyer: Demokratie braucht Fanmeilen? Wie sehen Sie das? Wir freuen uns auf Ihre Beiträge!

BENE: Brexit, Trump-Wahl, wieder erstarkender Nationalismus in zahlreichen europäischen Ländern. Wir erleben gerade eine Zeitenwende. Wie bewerten Sie als Politikwissenschaftler diese Umbrüche – und sind Sie darüber beunruhigt?

Karl-Rudolf Korte: Die Krise ist zum Normalfall der Politik geworden. Große Herausforderungen wie die Finanzkrise, die überwachungskrise, aber auch die Flüchtlingskrise setzen die Politik unter permanenten Entscheidungs- und Kommunikations-Stress. Dem wirken Formate der entschleunigten Demokratie entgegen: Langsamkeit kann, im Sinne bewusst diskursiv angelegter parlamenta- rischer Verfahren, nicht nur die Legitimation von Entscheidungen erhöhen, sondern auch dieser Zeitkrise des Politischen entgegenwirken. Ich bin nicht beunruhigt, wenn es dann noch gelingt, Orientierung durch den Einsatz von Erklärmacht zu bieten, die Qualität der Entscheidungen mit neuen Formen gesellschaftlicher Beteiligung anzureichern und Parteien als robuste Mittler von komplexen Entscheidungen zu stärken.

BENE: Mit dem Wahlkampf in Großbritannien über den Ausstieg aus der EU ist die Diskussion um Lügen und Fake-News entbrannt. Wähler lassen sich mit offensichtlichen Falschaussagen und propagandistischen Methoden einfangen. Warum trauen viele der Demokratie nicht mehr?

Korte: Elektronische Medien haben die Qualität von öffentlichkeit komplett verändert. Schon immer war Politik medienvermittelt. Doch Verschwörungstheorien und Verdächtigungen haben Konjunktur, weil sich in sozialen Medien systematisch Meinungsblasen bilden. Moralischer Autismus bleibt unter sich. Wer so lebt, ist nicht mehr zugänglich für Argumente, sondern nur noch für Bestätigung. Die Sehnsucht danach nimmt zu, wenn alles global undurchschaubar und unsicher erscheint. Irgendjemand sollte dann Schuld haben – idealerweise die etablierte Politik mit ihren Strukturen, Formaten, der besonderen Sprache und den bekannten Politikern. Empirische Fakten haben das Weltbild solcher Wähler noch nie gestört. Das Zeitalter der Fakten scheint damit vorbei zu sein, die Politik und ihre Akteure müssen sich ihren Vertrauensvorschuss also bei vielen neu erarbeiten.

BENE: Wir leben seit mehr als 70 Jahren auf einem weitestgehend friedlichen Kontinent. Für wie stabil halten Sie dieses Europa? Welche Möglichkeiten haben wir als Deutsche, diese Stabilität zu erhalten – und welchen Preis wird uns das kosten?

Korte: Der Blick auf unsere europäischen Nachbarn zeigt, dass der Populismus in vielen Ländern salonfähig geworden ist. Antieuropäische Stimmungsmache gehört als Kernelement meist dazu. Angesichts dieser Bedingungen ist es für die Parteien ent- scheidend, die politische und gesellschaftliche Mitte in Deutschland nicht an die Ränder zu verlieren. Die bürgerliche Mitte sucht Sicherheit, aber auch gleichermaßen moralischen Ernst, gemeinwohlorientierten Kaufmannsgeist und sozialstaatlichen Pragmatismus. Die progressive Mitte wiederum versteht sich immer noch als Mehrheitsgesellschaft, die Minderheiten schützt. Doch wie lange noch? Die AfD surft derzeit geschickt auf den Wellen der diffusen Angst und formt neue Koalitionen der Angst. Die Mitte ist nervös und zeigt sich in Teilen auch anfällig für diese zukunftsängstliche Empörungsbewegung. Eine Politik der Mitte hat die vordringliche Aufgabe, den Bürgerinnen und Bürgern ihre Zukunftsangst zu nehmen und dabei mit guten Argumenten für den Mehrwert eines geeinten Europas zu werben.

BENE: Unser Wertesystem ist durch unser Grundgesetz und unsere Verfassung geschützt. Allerdings zeigen Beispiele anderer Demokratien, dass sich an den Grundfesten gehörig rütteln lässt, sie sich – siehe die Türkei, Ungarn oder Polen – sogar aushebeln lassen. Besteht in Deutschland auch eine solche Gefahr?

Korte: Die politische Kultur und auch das Verfassungssystem in Deutschland sind eindeutig auf Stabilität ausgelegt. Trotz der steigenden Grundnervosität sind Demokratie und Freiheit insgesamt fest in der gesellschaftlichen Mitte verankert. Dennoch suchen viele im Kontext der Grenzöffnung vom Sommer 2015 nach neuen Identitätsankern. Wer gehört eigentlich zu uns? Und welches Verständnis haben wir von uns selbst? Das sind Fragen, die uns im Bundestagswahlkampf und auch in den kommenden Jahren intensiv beschäftigen werden.

BENE: Was ist aus Ihrer Sicht von politischen Spitzenkandidaten und den Führungsriegen der Parteien im Hinblick auf die anstehenden Landtags- und Bundestagswahlen zu tun? Wie könne verloren gegangene Glaubwürdigkeit und Vertrauen wieder gewonnen werden?

Korte: Die beiden großen Themen sind die Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft und die innere Sicherheit. Sie werden im Wahlkampf als Mobilisierungsthemen fungieren. Dabei müssen die Parteien komplexe Fragen argumentativ stichhaltig und nachvollziehbar beantworten. Wie können sie unter diesen schwieri- gen Rahmenbedingungen gemeinsam für bürgerliche Werte aktiv werben, für Komplexität in einer globalisierten Einwanderungsgesellschaft? Oder noch grundsätzlicher: Wie wirbt man für Pluralität? Wie schafft man Demokratie-Erlebnisse, um für die Vorteile des sozialen und gesellschaftlichen Friedens aus der Mitte heraus zu werben? Das wird anstrengend. Denn die Ant- worten beinhalten Identitätsmerkmale, die mit einem positiven Freiheitsverständnis zusammenhängen – keinem Fremdeln mit der Freiheit der Andersdenkenden. Populisten fühlen sich überfordert, eine Solidarität mit Fremden auszuhalten. Die bürgerliche Mitte hat ein Mandat für Solidarität und zivilisatorische Standards.

BENE: Viele Kirchenvertreter haben in den vergangenen Monaten die Stimme erhoben und dafür plädiert, der Einzelne möge sich einmischen – im Sinne von: christlich sein heißt auch politisch sein. Wie sehen Sie die Rolle der Kirchen als gesellschaftspolitische Instanz? Was kann und sollte der mündige Bürger tun?

Korte: Die Demokratie braucht Fanmeilen, denn sie lebt von Un- terstützung und natürlich auch von Einmischung. Als gesellschaft- lich nach wie vor fest verankerte Institutionen können die Kirchen durchaus politische Signale setzen. Dabei geht es nicht um neue Hirtenbriefe mit konkreten Wahlempfehlungen, sondern um eine mutige Positionierung im politischen und gesellschaftlichen Diskurs, die sicherlich bei vielen Bürgerinnen und Bürgern – ob kirchlich gebunden oder nicht – Gehör finden wird.

BENE: Die reine Wahrheit gibt es nicht. Dafür Unmengen an Informationen und Wahlkampf auf allen Kanälen. Da fällt es schwer zu filtern und zu einem sachlichen Urteil zu kommen. Gibt es dennoch ein Rezept für den richtigen Umgang mit dieser Informationsflut? Wie halten Sie es damit?

Korte: Ich glaube an die Faszination neuer Erkenntnisse. Trotz Fake News und Meinungsblasen in den neuen Medien kann man Bürgerinnen und Bürger auch mit Fakten immer noch erreichen. Gerade den Qualitäts-Medien kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu. Und wer als Politiker die Qualität der Demokratie sichern möchte, muss die neuen Mechanismen der politischen Kommunikation annehmen.

BENE: Sie sind ja eigentlich für die Wahlanalysen zuständig, dennoch die Frage nach Ihrer Prognose: Wo stehen wir am Ende des Jahres 2017?

Korte: Mehr denn je ist die Parteiendemokratie in Bewegung. Sie ist fluider und bunter geworden. In den Bundesländern haben die Parteien bereits gezeigt, dass sie diesen neuen Herausforde- rungen mit ungewöhnlichen Koalitionsformaten begegnen können. Eine neue Flexibilität auf dem Koalitionsmarkt wird wohl auch nach der Bundestagswahl im September nötig sein. Sofern die AfD und die FDP in den Bundestag einziehen, müssen die Parteien neue Formeln zur Macht suchen. Abseits der großen Koalition werden sie viele Formate diskutieren und ausloten. Das Tauwetter hat bereits eingesetzt. Ein Bündnis von CDU und Grünen – vielleicht auch in Kombination mit den Liberalen – wird höchstens an der CSU scheitern. Martin Schulz kann ich mir in einer großen Koalition vorstellen, aber auch als Moderator einer Ampel, rot, gelb, grün, oder – wenn auch eher unwahrscheinlicher – als Anführer eines rot-rot-grünen Bündnisses. Es wird also spannend.                                      

 Die Fragen stellte Jutta Laege        

 

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